Mozart doppelt in Szene gesetzt
Große Themen: Begehren, Verderben und Untergang treffen auf Aufstand, Verrat und Rache.
Zwei Mozart-Inszenierungen zum Wiedersehen: „Don Giovanni“ in der 2021 bejubelten Regie von Romeo Castellucci und „La clemenza di Tito“, die schon zu Pfingsten herauskommt.
„Es brennt sein Begehren. Was brennt, ist das Leben“, sagt Romeo Castellucci über Don Giovanni. Er bringt seine Inszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts Oper aus dem Jahr 2021 wieder zu den Salzburger Festspielen – und interessiert sich dabei vor allem dafür, wie man den Protagonisten neu betrachten kann. Schon vor drei Jahren hat seine Version, die die Oper bildgewaltig als eine Art Gegen-„ Jedermann“ interpretiert, für großen Jubel gesorgt. Wie damals wird auch diesmal Teodor Currentzis der musikalische Leiter sein, er steht am Pult des Utopia Orchestra.
Wenn sich Castellucci seine Inszenierung nun noch einmal vornimmt, bezeichnet der Regisseur als Herausforderung, „dass die Wesensform von Don Giovanni die Flucht – und er daher schwer fassbar – ist.“ Während Don Giovanni davonläuft, „reißt er alles ins Verderben.“ Mozarts und Da Pontes Figur, die auf dem Don-Juan-Mythos basiert und diesen weiterdenkt, rennt „nicht nur vor der Welt und der Gesellschaft davon. Vielmehr ist seine eigentliche Wesensform die Flucht. Daher kann man ihn nicht an einem Gedanken festmachen“, so der Regisseur. Zwar spüre er somit auch eine gewisse „Frustration, die wir alle angesichts dieser Figur empfinden.“ Andererseits sehe er diese Herausforderung auch als den eigentlichen Kern der Oper an: „Die Tatsache, dass er sich nicht fassen lässt, macht seine Größe aus.“ Obwohl Don Giovanni dem Untergang geweiht ist und die Oper vom Todestrieb ebenso erzähle wie von der Vitalität und von Sehnsüchten, lasse er sich laut Castellucci „als der einzige Lebende betrachten. Eben, weil er brennt und genau dadurch Leben hervorbringt. Weil er uns das Feld des Begehrens öffnet.“
Um augenscheinlich zu machen, wie viele Frauen Don Giovanni im Laufe der Jahre wirklich schon verführt und auch verlassen hat, hat sich Castellucci eine eindrückliche Bebilderung überlegt: Er hat eine große Anzahl an Frauen aus Salzburg eingeladen, die Bühne des Großen Festspielhauses zu „besetzen“. „Die entsetzliche Liste von Leporellos Register verwandelt sich in ein Element aus Fleisch und Blut, das berührt und bewegt“, kommentiert der Regisseur. „Die Anwesenheit der Frauen macht sichtbar, wie das Feld des Begehrens allmählich eine absorbierende, einverleibende Kraft entwickelt. Das polare Schema von Don Giovanni als Jäger und den Frauen als Gejagten wird umgekehrt.“
All das stellt Castellucci, der auch das Bühnenbild erdacht hat, in einem entweihten, demontierten Kirchenraum dar, den er zum Hauptquartier Don Giovannis erklärt. In diesem lässt er ein Spiel ablaufen, das dem eines Kindes gleicht, das mit Spielklötzen spielt, dabei aber auch immer wieder welche zerstört. Und das sich darüber frustriert zeigt, dass es nicht alles bekommen kann, was es begehrt. Ihm sei wichtig, lässt Castellucci wissen, dass jedenfalls Mehrdeutigkeit und Komplexität sowie das innere Ungleichgewicht des Protagonisten offensichtlich werden.
Castellucci, der von der Zeitschrift „Opernwelt“ mehrmals zum Regisseur des Jahres gewählt wurde und auch für Bühnenbild, Kostüme und Licht verantwortlich zeichnet, wirft so seinen eigenen Blick auf den großen Verführer der Literatur- und Opernwelt. Dargestellt und gesungen wird er abermals von Davide Luciano. Als Leporello steht ihm Kyle Ketelsen zur Seite. Dmitry Ulyanov verkörpert den Komtur, Federica Lombardi Donna Elvira, Nadezhda Pavlova Donna Anna und Julian Prégardien Don Ottavio.
Zeitgemäßer, gütiger „Titus“. Ganz anders ist der Charakter des zweiten Werks von Wolfgang Amadeus Mozart, das heuer bei den Salzburger Festspielen zu erleben ist. Bereits zu Pfingsten kann man „La clemenza di Tito“ erleben. Die Produktion wird dann im Sommer zu weiteren Aufführungen kommen. Cecilia Bartoli, die Intendantin der Pfingstfestspiele, hat heuer einen Schwerpunkt auf den großen Sohn der Stadt gelegt: Sie wolle dabei, so ließ sie wissen, die Freude am Singen, Hören und Spielen seiner Musik weitergeben. „Sich die schiere Menge an großartigen musikalischen Schöpfungen vor Augen zu halten, die Wolfgang Amadeus Mozart in unglaublich kurzer Zeit hervorbrachte, lässt uns ein ums andere Mal in Demut verstummen. Es mag überraschend sein, aber seit ich 2012 die künstlerische Leitung der Salzburger Pfingstfestspiele übernommen habe, ist Mozart noch nie im Mittelpunkt des Festivals gestanden. Also dachte ich mir: ,Wenn schon, denn schon‘“, so Cecilia Bartoli.
Erstmalig wird sie dabei auch als Sesto in einer szenischen Produktion von „La clemenza di Tito“ zu erleben sein. „Letztes Jahr beschäftigte ich mich von Neuem mit ,La clemenza di Tito‘ und erkannte, dass ich mir nicht mehr bewusst war, wie großartig diese vergleichsweise selten gespielte Oper ist. Diese Erkenntnis begeisterte mich so sehr, dass ich mich entschied, erstmals in einer szenischen Produktion von ,La clemenza di Tito‘ mitzuwirken.“ Konzertant hat sie den Sesto bereits mehrfach gesungen – mit Les Musiciens du Prince – Monaco, die auch diesmal den Klangkörper bilden.
Die musikalische Leitung übernimmt Gianluca Capuano. Daniel Behle wird Tito, Alexandra Marcellier Vitellia, Mélissa Petit Servilia und Anna Tetruashvili Annio verkörpern. Den Publio gibt Ildebrando D’Arcangelo. Gemeinsam interpretieren sie Mozarts Opera seria in der Inszenierung von Robert Carsen.
Carsen bezeichnet „La clemenza di Tito“ quasi als „Gegenstück“ zur „Zauberflöte“, die fast zeitgleich entstand. „Im ,Titus‘ arbeitete Mozart komplett fokussiert und schuf eine hermetisch abgeschlossene Welt. Eine sehr politische Welt, die das Werk zu einer Besonderheit macht“, sagt Carsen. „Wenn Titus damit zurechtkommen soll, dass andere ihn töten wollten und betrogen haben, muss er mit seinen Gefühlen von Rache umgehen, spürt aber auch Vergebung in sich.“ Carsen hält fest, dass es für ihn „durch diesen politischen Hintergrund unmöglich ist, nicht an ein Ereignis unserer Zeit erinnert zu werden: Auch wenn ich die Oper nicht in Washington D. C. spielen lassen werde, kann ich nicht vermeiden, an den Sturm des Kapitols zu denken.“ So sehe er es als seine Aufgabe, das Zeitgemäße an dem Stoff herauszuarbeiten. Denn selbst, wenn dieser auf das Jahr 1734 zurückgeht, bringe die Oper, so Carsen, wenn sie vor einem heutigen Publikum gezeigt werde, stets auch eine moderne Resonanz ein.
Wilhelm Sinkovicz
Zuerst erschienen am 11.05.2024 in Die Presse Kultur Spezial: Salzburger Festspiele