Das Programm der Salzburger Festspiele 2026

Von der Geburt der Zeit und der Macht des Herzens

Andy Warhol, Hand Holding Stop Watch, c. 1955, ink on Strathmore paper (50.2 x 54 cm; 1998.1.1153) The Andy Warhol Museum, Pittsburgh; Founding Collection, Contribution The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. © The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / Bildrecht Wien, 2025

Koordinaten geraten ins Wanken, Lebens- und Gesellschaftsmodelle werden ausgelotet und die Horizonte des In-der-Welt-Seins geweitet. Unermüdlich arbeiten sich die Protagonist·innen im Programm des kommenden Festspielsommers an der Neuverortung ihres Selbst und in der Begegnung mit dem Anderen ab — und entwerfen zugleich ein Panorama unterschiedlichster Arten der Liebe. Sie erforschen das Ich und setzen der Ratio die Macht des Herzens entgegen, der kalten Vernunft die Intuition und das Gefühl. „Le coeur a ses raisons que la raison ne connaît point.“ — „Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt.“ (Blaise Pascal)

In Carmen treffen wir auf eine Außenseiterin, die kompromisslos nach Freiheit im Leben und Lieben sucht, die ebenso wie Franz von Assisi und Molières Alceste den Bruch mit der Konvention vollzieht. — Aus der Tiefe seiner Verzweiflung schreit ein gebrochener Mensch in Oscar Wildes erschütterndem, „De Profundis“ überschriebenem Gefängnis-Brief. — Ein ungewöhnliches gesellschaftliches Experiment bildet den Ausgangspunkt der Mozart’schen „scuola degli amanti“ Così fan tutte, in der sich alle Gewissheiten auflösen und die Lebensentwürfe der Handelnden auf den Kopf gestellt und in der Folge ungeahnte Erkenntnisse und unerwartete Emotionen freigelegt werden.

Ein Werk der Gegenwelten offenbart sich in Hofmannsthals / Strauss’ Ariadne auf Naxos: Tragödie und Komödie überlagern sich, die Welt der Trauer und jene der Leichtigkeit durchdringen sich. Die bitterböse Abrechnung mit dem Theateralltag im Speziellen und der Kulturlosigkeit im Allgemeinen
findet in der ätzenden Satire auf die Heuchelei und Oberflächlichkeit der Gesellschaft im Molière’schen
Menschenfeind ein beredtes, ebenso traurig-komisches Pendant. Elfriede Jelineks jüngstes Drama, Unter Tieren, zielt ebenfalls in die Untiefen einer verlogenen Gesellschaft — und zeichnet sprachgewaltig den Weg „in die Apokalypse des Kapitalismus“.

Ein gänzlich anderes und radikales Lebensmodell, ein Gegenbild zu den Auswüchsen des Kapitalismus — nämlich ein Leben in Armut und Hingabe — und eine „Gegenzeit“ in weltentrücktem Zustand, dies liefert die Vita des heiligen Franz von Assisi, die Olivier Messiaens alle Dimensionen sprengender Oper Saint François d’Assise zugrunde liegt. Hier scheinen die physikalischen Gesetze von Raum und Zeit aufgehoben, die spirituelle Entgrenzung und die Loslösung von gesellschaftlichen Verbindlichkeiten auf die Spitze getrieben.

Den „Kreuz-und-Quer-Gehenden“ in Peter Handkes Schnee von gestern, Schnee von morgen, der ebenfalls an keine Zeit- und Ortsgrenzen gebunden ist, begleiten wir im stillen Nachdenken über die Zeit und in der Erkundung des Erlebens und Erinnerns. Ihm gegenüber steht der rastlos Suchende, der uns in der Figur des Faust entgegentritt: der Archetyp des modernen, nach Wissen, Erfahrung und Erfüllung strebenden Menschen. — Beide vermessen die Welt, jedoch auf ganz unterschiedliche Art; sie bewegen und verlieren sich in inneren und äußeren Gedanken- und Seelenlandschaften.

Wie wir aus der Schuldlosigkeit fallen und uns der Verantwortung stellen müssen, damit beschäftigt
sich Wajdi Mouawads Stück Europa’s Pledge — ähnlich verarbeiteten Ingeborg Bachmann und Hans Werner Henze private und kollektive Traumata in ihren Werken. Schuld, deren Bewältigung und Versöhnung bilden schließlich auch den Anknüpfungspunkt zur Ouverture spirituelle, die das Anfangswort des Bußpsalms — „Miserere“ — im Titel trägt.

Die Figuren, die uns im Festspielprogramm 2026 begegnen, suchen in der Innenschau die Inschriften der „Hirn- und Herzkammern“ (Virginia Woolf) zu entziffern und Möglichkeitsräume zu öffnen. Sie suchen unser Leiden an der Wirklichkeit zu fassen, das in der Figur des Jedermann exemplarisch vorgeführt wird und sich in einem Leiden an der Zeitlichkeit manifestiert.

In dieser grundlegenden Wahrnehmung der Zeit- und Endlichkeit, die uns mit unseren Mitmenschen
und der Umwelt verbindet und in der wir einen Sinnzusammenhang erfahren wollen, unterstützen
uns die dramatischen Künste und — im Speziellen — die Musik: Sie nähern sich der Zeit an, indem sie deren Verrinnen sichtbar und spürbar werden lassen. „Stellen wir uns einen einzigen Schlag im ganzen Universum vor. Einen Schlag: Ewigkeit vorher, Ewigkeit nachher. Ein Vorher, ein Nachher: Das ist die Geburt der Zeit.“ (Olivier Messiaen)

PROZEDERE BEI DER KARTENZUTEILUNG

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