Salzburger Festspiele Pfingsten 2026
Bon Voyage!
„Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nicht angeschaut haben."
Liebe Freundinnen und Freunde!
Für freiberufliche Künstler·innen ist das Reisen fester Bestandteil ihres Lebens: Wenn wir nicht gerade proben oder auf der Bühne stehen, sind wir eigentlich immer on the road. Oder in meinem Fall (wenn die Züge so fahren, wie sie sollten) auf der Schiene. Ich habe auch schon den Atlantik mit dem Schiff überquert, und in gut organisierten Städten nutze ich gerne öffentliche Verkehrsmittel oder gehe zu Fuß. Reisen ist heutzutage für viele eine Selbstverständlichkeit, aber langsam zu reisen ist ein Luxus. Der Körper gelangt schnell von A nach B, doch die anschließende Erholung bedarf eines eigenen Tempos, und der Geist braucht oft noch länger, um sich an eine neue Umgebung zu gewöhnen.
Zu Rossinis Zeit nahm die Geschwindigkeit, mit der sich Menschen fortbewegen konnten, dank moderner Erfindungen wie der Eisenbahn rasant zu. Als kluger Mensch integrierte Rossini einige dieser Entwicklungen schon früh in seine Werke. In Il viaggio a Reims spielt er mit der Begeisterung der Oberschicht für Reisen zu den angesagtesten europäischen Kurorten, wo man allerdings eher dem Glücksspiel oder anderen unschicklichen Vergnügungen frönte, als sich einer medizinischen Behandlung zu unterziehen.
In Rossinis Oper stranden einige adelige Reisende aus verschiedenen Ländern in Plombières-les-Bains, einem Heilbad in den Vogesen. Es gibt keine Pferde für die Kutschen, mit denen sie eigentlich weiter nach Reims fahren wollen, und so verpassen sie am Ende die Krönung von Karl X. — das historische Ereignis, zu dessen Feier Rossini diese Oper geschrieben hat. Ich frage mich, ob sie es vielleicht mit der Eisenbahn geschafft hätten, die damals noch pünktlich fuhr? Aber dann hätte es wohl keinen Anlass für die Handlung dieser charmanten Oper gegeben.
Sie sehen: Solche Dinge bringen mich immer wieder auf neue Ideen. In meiner künstlerischen Arbeit werde ich seit jeher von einer unersättlichen Neugier auf Komponisten, Musiker und ihr Umfeld angetrieben. Und ich erlebe es als großes Glück, dass diese Neugier in den letzten Jahrzehnten nicht nachgelassen hat: Ständig neue Impulse zu verarbeiten, lässt neue Ideen entstehen, erhält die Kreativität und bringt einen als Mensch und Künstlerin voran. Stillstand führt hingegen zu Erstarrung und Tod. Für mich ist eine nachhaltige künstlerische Karriere, sei sie nun lang oder kurz, immer eine Abenteuerreise voller Höhen und Tiefen, überraschender Wendungen, Wunder und Gefahren. Haben Sie keine Angst davor, an unbekannte Ufer verschlagen zu werden, und zögern Sie auch nicht, bekannte Orte neu für sich zu entdecken! Neue Erfahrungen können dazu führen, dass wir altbekannte Dinge aus einer anderen, bereichernden Perspektive erleben und neu bewerten.
Ich liebe nicht nur Rossinis Musik, sondern schätze auch seine Persönlichkeit, seinen Humor und seine Lebensfreude. Rossini erfüllt mich stets mit Begeisterung und Staunen, und sein OEuvre hält noch vieles bereit, das ich mir erobern kann. So werde ich 2026 erstmals die Rolle der berühmten römischen Dichterin und Improvisatorin Corinna in Il viaggio a Reims übernehmen. Die skurrile Handlung dieses fröhlichen Stücks schlägt einige ungewöhnliche Volten, der Anlass der Entstehung gehört zu den Kuriositäten der Operngeschichte, und die Aufführungsgeschichte gleicht einer komplizierten, aber letztendlich erfolgreichen Reise, die nun in einer ausgelassenen Inszenierung bei den Salzburger Pfingstfestspielen gipfelt. Wenn wir uns an die gefeierte Zusammenarbeit von Barrie Kosky und Gianluca Capuano im Jahr 2025 erinnern, dürfen wir von ihnen auch diesmal eine übermütige und unvergessliche Produktion erwarten, die von Les Musiciens du Prince abermals mitreißend auf historischen Instrumenten begleitet wird.
Il viaggio a Reims ist eigentlich das perfekte Stück für dieses Festival: Es atmet historische Bedeutsamkeit, und seine künstlerischen Herausforderungen stehen vielen legendären Salzburger Erfolgen und — warum auch nicht? — seinem schillernden Glamour in nichts nach. Ursprünglich gedacht als Paradestück für die Stars des Théâtre-Italien — wie Giuditta Pasta, Laure Cinti-Damoreau, Domenico Donzelli und Nicolas-Prosper Levasseur —, erfordert das Werk zehn fantastische Sänger·innen mit großem komödiantischen Talent in den Hauptrollen, wie sie nur ein renommiertes Festival versammeln kann. Ich denke, Sie werden sich köstlich amüsieren — und vermutlich werden wir auch auf der Bühne viel Spaß haben!
Zudem möchten wir Sie noch auf andere spannende Reisen mitnehmen: So begrüßen wir erneut die großartigen Tänzer·innen vom Hamburg Ballett und begleiten sie auf einer ausgedehnten Kreuzfahrt, auf der wir mit dem Ballett Die kleine Meerjungfrau eine Neuinterpretation von Andersens berühmtem Märchen erleben, in einer Kombination aus Virtuosität, Musikalität, Tiefsinn und Humor, wie ich sie in John Neumeiers Arbeiten immer wieder bewundere.
Eine zehnjährige Irrfahrt zwischen den griechischen Inseln endet mit der Rückkehr eines der großen Helden der Antike aus dem Trojanischen Krieg und seinem lang ersehnten Wiedersehen mit seiner geliebten Frau und seinem Sohn. Claudio Monteverdi vertonte die bewegende Geschichte von Odysseus’ Heimkehr in einer seiner späten Opern, Il ritorno d’Ulisse in patria, die 1640 uraufgeführt wurde. Wir präsentieren sie in einer neuen szenischen Produktion mit Les Musiciens du Prince unter der Leitung von Gianluca Capuano und der ehrwürdigen Mailänder Marionettenbühne Carlo Colla & Figli sowie einer Reihe versierter live performender Sängerinnen und Sänger.
Am Sonntagabend werde ich Sie mit Unterstützung von Davide Livermore und seinem Team in einem speziell gestalteten Galakonzert auf eine Reise durch mein Leben (Voyage de ma vie) und meine Karriere mitnehmen, bei der wir Ihnen die Vielfalt der wunderbaren Musiker·innen und der herausragenden Werke vorstellen wollen, denen ich auf meinem bisherigen Weg begegnen durfte.
Bevor unser Festival am Abend des Pfingstmontags mit einer zweiten Vorstellung von Il viaggio a Reims endet, begrüßen wir Christina Pluhar und ihr Ensemble L’Arpeggiata wieder einmal bei uns. Ich freue mich sehr auf eines ihrer originellen Konzeptprogramme, diesmal unter dem Titel Übers Meer. Sie spielen Musik aus der italienischen Renaissance und dem Barock, Werke aus Deutschland, Spanien und Lateinamerika — und zeichnen weitere mythische Reisen der klassischen Antike nach. Im Zentrum des Programms steht Monteverdis Il combattimento di Tancredi e Clorinda, das zur Zeit des Ersten Kreuzzugs in Jerusalem spielt.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie sich auf den Weg nach Salzburg machten, um uns auf einer großartigen Fantasiereise durch die Welt zu begleiten, durch Jahrhunderte wunderbarer Musik und Theaterkunst, gemeinsam mit so vielen Künstlerinnen und Künstlern, die ich zutiefst bewundere.
Gute Reise und bis bald!