20 Jul 2023

Eingespielt und frisch erprobt

Langjährige Freundschaften,
neue Partnerschaften
am Gipfel der Musikwelt

Von Miniopern, Bagatellen und Raritäten über neu ausgelotetes Bekanntes bis hin zu zeitgenössischen Texten und Begleitung am Clavichord reicht der Bogen bei den Liederabenden und Solistenkonzerten.

Begegnungen mit Raritäten und Bekanntem, in neuen Konstellationen und mit bewährten Partnern stehen bei den Liederabenden und Solistenkonzerten der heurigen Salzburger Festspiele auf dem Programm: Renée Fleming etwa, die erstmals mit Evgeny Kissin einen Liederabend präsentiert. Asmik Grigorian, die bei den Salzburger Festspielen 2018 ihren internationalen Durchbruch hatte, und die sich Kleinoden von Rachmaninow widmet. Und Matthias Goerne, der ebensolche von Schostakowitsch und Mahler bringt. Georg Nigl lädt zu „Kleinen Nachtmusiken“, Isabelle Faust zu einer Begegnung, unter anderem mit Béla Bartók.

Neue Partnerschaft. „Nur wer die Sehnsucht kennt“, heißt es im „Lied der Mignon III“ von Franz Schubert. Dieses, seine „Vögel“ und „Suleika“ werden den Auftakt machen, wenn Renée Fleming sich erstmals in Salzburg in ihrer neuen, verheißungsvollen Partnerschaft mit Evgeny Kissin präsentiert. Im Zentrum des Liederabends stehen Werke wie „Der Traum“, „Nacht“ und „Frühlingsfluten“ von Sergej Rachmaninow. Dramaturgisch eingefasst werden sie auch von Franz Liszts „Freudvoll und leidvoll“, „Über allen Gipfeln ist Ruh“ und Henri Duparcs „Extase“, „Sérénade“ und „Le Manoir de Rosemonde“. Die Sopranistin, der es stets ein Anliegen ist, auch neues Publikum für klassische Musik zu begeistern und die man deshalb schon beim Super Bowl und auf dem Soundtrack eines „Herr der Ringe“-Films hörte, und der Pianist betreten mit dieser Mischung bei ihrem Liederabend auch weniger beschrittene Pfade. Was Sergej Rachmaninow an Kompositionskleinoden schuf, steht auch im Zentrum des Abends, an dem sich Asmik Grigorian erstmals in Salzburg als Liedsängerin vorstellt: „Ich bin kein Prophet“, „O, sei nicht traurig“ und „Wie ist mir weh“ sind unter den Werken, die die Sopranistin gemeinsam mit Lukas Geniušas als ihr Begleiter am Klavier gewählt hat. Sie selbst beschrieb die Rachmaninow Romanzen als „Miniopern, die nur wenige Minuten dauern“, diese, so Grigorian „verlangen wirklich nach Opernkraft“. Als sie vor wenigen Monaten ihr Lieddebüt im Wiener Konzerthaus mit Rachmaninow-Kompositionen gab, ließ sie dies spüren.

Zu seinem großen Bedauern kann Markus Hinterhäuser den Liederabend mit Matthias Goerne aus gesundheitlichen Gründen nicht spielen. Der geplante gemeinsame Auftritt mit einem Mahler-Schostakowitsch-Programm wird jedoch im kommenden Jahr nachgeholt werden. Alexander Schmalcz wird die diesjährige Liedbegleitung dankenswerterweise übernehmen. Das Programm beschäftigt sich mit Franz Schubert.

Schumann-Schwerpunkt. So wie Renée Fleming weniger Bekanntes von Henri Duparc für ihren Liederabend gewählt hat, wird auch der Tenor Benjamin Bernheim etwas von diesem französischen Komponisten in sein Konzert aufnehmen. Im Zentrum seines Auftritts steht aber der Zyklus „Dichterliebe“ von Robert Schumann, wenn der Sänger mit der besonders samtigen Stimme auf das Podium geht. Bernheim, den man an der Wiener Staatsoper zuletzt als Herzog in „Rigoletto“ und als Rodolfo in „La Bohème“ hörte und der in Salzburg schon für Solo-Recitals bejubelt wurde, wird gemeinsam mit Sarah Tysman auftreten.
Robert Schumann steht auch im Fokus, wenn Christian Gerhaher und Gerold Huber, also eines der bewährtesten Duos des aktuellen Liedgesangs, auftreten. Sie haben dessen „Fünf Lieder“, den „Liederkreis nach Joseph von Eichendoff“, „Sechs Gedichte nach Nikolaus Lenau“ und weiteres mehr von Schumann gewählt. Seit mehr als drei Jahrzehnten widmet sich dieses Duo der Liedinterpretation und tritt regelmäßig an den internationalen Zentren und Festivals für Liedgesang auf. Gerade Schumann steht im Zentrum ihrer Beschäftigung, haben sie doch auch sämtliche Lieder des Komponisten auf Tonträger herausgebracht.
Wie Schumann andererseits seine schöpferische Kraft am Klavier zum Ausdruck brachte, kann man bei Daniil Trifonovs Solistenkonzert nachempfinden. Er hat die „Fantasie C-Dur“ des Komponisten im Programm. Dazu kommen Peter I. Tschaikowskis „Kinderalbum“, Wolfgang Amadeus Mozarts „Fantasie c-Moll“, Maurice Ravels „Gaspard de la nuit“ und Alexander Skrjabins fünfte Klaviersonate. Trifonovs Anschlag wurde einst von niemand Geringerem als Pianistin Martha Argerich als von Zartheit und dämonischem Element gleichermaßen bestimmt bezeichnet.

Wie er zählt auch Pierre-Laurent Aimard zu den größten Pianisten unserer Zeit. Immer wieder finden sich in seinem Repertoire Werke von führenden zeitgenössischen Komponisten wie Karlheinz Stockhausen, Elliott Carter und György Ligeti, die oft für ihn Stücke komponierten. Den „Études pour piano“ des Letzteren ist das zweite von Aimards Solokonzerten gewidmet, das auch der Festspielreihe „Zeit für Ligeti“ angehört. Im ersten Konzert stehen die so genannten „Bagatellen“ im Mittelpunkt, nämlich jene für Klavier von Ludwig van Beethoven.

Beethoven ist im Solistenkonzert von Igor Levit ebenfalls im Fokus, wenn der Pianist die „Waldsteinsonate“ und Franz Liszts Klavierbearbeitung von Beethovens Siebenter spielt. Dazwischen stellt er Franz Liszts „Réminiscences de Don Juan“.
Ligeti wiederum bringt auch Tabea Zimmermann, wenn sie dessen „Sonate für Viola solo“ präsentiert. Im gemeinsamen Konzert mit Violinistin Isabelle Faust und Cellist Jean-Guihen Queyras stellt Zimmermann Béla Bartóks „Sonate für Violine solo“ und Queyras Zoltán Kodálys „Sonate für Violoncello“ vor. Intensives Spiel, geprägt von Tiefgründigkeit, und feines Stilempfinden wird Isabelle Faust nachgesagt, die oft Begegnungen mit Kompositionen aus der Gegenwart und dem vergangenen Jahrhundert ermöglicht. Ihr ähnlich macht es Tabea Zimmermann, der das in Salzburg programmierte Werk von Ligeti überhaupt gewidmet wurde. Oftmals in ihrer Karriere hat sie es gespielt, immer wieder sei ihr Zugang ein wenig anders, wie sie sagt. Uraufführungen sind auch bei Jean-Guihen Queyras keine Seltenheit, er führte schon Werke von Michael Jarrell, Johannes Maria Staud, Thomas Larcher und Péter Eötvös zum ersten Mal überhaupt auf. Mit Isabelle Faust verbindet ihn eine langjährige musikalische Partnerschaft.

Kissin auch solo. Während er sich im gemeinsamen Konzert mit Renée Fleming vor allem der Begleitung verschreibt, gibt Evgeny Kissin im Rahmen der Festspiele auch ein Solokonzert, für das er Johann Sebastian Bachs „Chromatische Fantasie und Fuge d-Moll“ sowie Mozarts Klaviersonate D-Dur ausgewählt hat. Auch Frédéric Chopins „Polonaise fis-Moll“ und Sergej Rachmaninows „Flieder“, sowie dessen „Études-Tableaux“ und „Préludes a-Moll“ und jenes in Ges-Dur werden zu hören sein.
Eine interessante Kombination liefert Grigory Sokolov, der einige Werke von Henry Purcell mit Wolfgang Amadeus Mozarts „Sonate Nr. 13“ und dem „Adagio h-Moll“ gemeinsam angesetzt hat. Sokolov ist für seine poetischen Interpretationen, seine fundierte Kenntnis und Vorbereitung und seine Spontaneität bekannt, in einer Kritik konnte man lesen: „Sokolov verblüffte die Zuhörer mit einer Art des Klavierspiels, der musikalischen Kompetenz und des Künstlertums, die man für immer verloren glaubte.“

Für besonderes Gespür für Poesie und Klangfarben kennt man auch Arcadi Volodos, der sich heuer Franz Liszts „Ballade Nr. 2“, Werke von Alexander Skrjabin und Federico Mompous „Música callada“ ausgesucht hat. Letzterem, einem wiederentdeckten spanischen Komponisten, widmete er sich schon oft in Klavierabenden und auch in einer eigenen CD.
Zu den Pianisten, die allesamt zur Weltspitze zählen, kommt eine Pianistin, die sich ebenfalls bereits lange auf dem Gipfel der Branche hält: Mitsuko Uchida hat sich für ihren Aufritt in Salzburg den Pianisten Jonathan Biss als Partner für vierhändiges Spiel dazu geholt. Auf dem Programm stehen das Allegro „Lebensstürme“, der „Marsch in es-Moll“, das „Rondo in A-Dur“ und das „Divertissement à la hongroise“, allesamt von Franz Schubert.

Während die Liederabende im Haus für Mozart stattfinden und die Solistenkonzerte ebenfalls dieses, das Große Festspielhaus und das Mozarteum mit Klang erfüllen, gibt es heuer auch ein Kleinod von einem Spielort für die „Kleinen Nachtmusiken“, die nicht nur mit Mozart zu tun haben: Darin wird Bariton Georg Nigl ein besonderes Konzerterlebnis offerieren. Zu einer „Sérénade“ laden er und Ulrich Noethen, der für die Rezitation zuständig sein wird, in die Edmundsburg des Stefan Zweig Zentrums, die oberhalb der Festspielhäuser auf dem Mönchsberg liegt. Hier werden in sechs Konzerten jeweils 60 Gäste zu späterer Stunde im intimen Rahmen Werke von Johann Sebastian Bach bis Wolfgang Amadeus Mozart erleben können. Dazu kommen Texte von Zeitgenossen, begleitet werden die Lieder durch die feinen Klänge eines Clavichords, eines der ältesten besaiteten Tasteninstrumente, gespielt von Alexander Gergelyfi.

Zuerst erschienen am 20.05.2023 in Die Presse Kultur Spezial: Salzburger Festspiele

Theresa Steininger