Frühe und unvollendete Opern
Die Festspiele erweitern mit zwei besonderen Programmpunkten den Blick auf das Werk Mozarts.

Dass Mozart rund zwei Dutzend Opern schrieb – oder begann –, ist kein Geheimnis. Als 1979 die Philips-Edition erschien, mit immerhin 14 Opern – darunter „Bastien und Bastienne“, „La finta semplice“, „Die Gärtnerin aus Liebe“, „Thamos“ und „Zaide“ – merkten auch Mozart-Liebhaber ohne musikwissenschaftliche Ambitionen, dass es neben den sieben bekannten Bühnenwerken einiges zu bestaunen gab. 1991 folgte die noch umfassendere „Vollständige Mozart-Edition“ – und hier schloss gerade Salzburg viele diskografische Lücken. So nahmen Leopold Hager und das Mozarteumorchester u. a. „Apollo et Hyacinthus“, „Mitridate“, „Ascanio“, „Scipione“, „Lucio Silla“, „La finta giardiniera“ (die neu entdeckte italienische Version der „Gärtnerin“) und „Il re pastore“ auf. Dazu kamen die unvollendete „Gans von Kairo“ und das Pasticcio „Die Schuldigkeit des ersten Gebots“, zu dem der 11-Jährige den ersten Akt beisteuerte. Zählt man auch noch „Der Stein der Weisen“ (zu dem Mozarts Beitrag deutlich geringer ist) und beide Fassungen der „Gärtnerin“, kommt man auf genau zwei Dutzend Opern. 2006, zum 250. Geburtstag des berühmtesten Sohnes der Stadt, rückten die Salzburger Festspiele diese Mozart’sche Vielfalt an Bühnenwerken wieder in den Mittelpunkt und inszenierten und filmten tatsächlich alle Opern Mozarts als Teil des Projektes „M22“. Auch dieses Jahr wird dem unbekannten Mozart kreativer Platz eingeräumt, mit der von Adam Fischer dirigierten halbszenischen Inszenierung von „Mitridate re di Ponto“ und der von Raphaël Pichon konzipierten und geleiteten Mozart-Melange „Zaide oder Der Weg des Lichts“.

In vollem Saft. Im Gegensatz zu „Mitridate“, einem Frühwerk des 14-jährigen Teenagers an der Schwelle zur Meisterschaft, sind die Werke, die Pichon in seinem mozart’schen Mosaik zusammenführt – neben dem unvollendet gebliebenen Singspiel „Zaide“ eben noch „Davide penitente“ und „Thamos“ – Mozart in vollem Saft. 23 war der Salzburger, als er im Herbst 1779, auf gut Glück und ohne Auftrag, begann, J. A. Schachtners Libretto zu „Zaide“ zu vertonen. Vielleicht hatte er dabei die Gastspieltruppen von Böhm oder Schikaneder im Sinn, die im Ballhaus am Hannibalplatz (dem heutigen Makartplatz) auftraten. Vermutlich aber hatte der bisher immer von seinen Eltern umgebene Mozart schon Wien ins Auge gefasst, schließlich gab es Pläne von Joseph II. für eine Deutsche Operngesellschaft. Eine dort erfolgreiche Oper hätte bedeutet, mindestens einen Fuß in die Tür der Wiener Musikwelt zu setzen. Er schrieb rund 75 Minuten Musik – noch ohne Ouvertüre, die er stets zuletzt anging – als ein wesentlich attraktiveres, da garantiertes und bezahltes, Angebot ins Haus flatterte: den „Idomeneo“ für München zu schreiben. „Zaide“ verschwand in der Schublade und wurde nie wieder aufgegriffen – aber das Sujet gefangener Damen, die vor türkischen Sultanen zu retten sind, fand schon bald wieder Verwertung. Da man in Wien (so schreibt er, inzwischen in die Hauptstadt ausgebüxt, seinem Vater nach Salzburg) „lieber commische stücke sieht“, allerdings nicht als Tragödie. „Die Entführung“ wird sein erster Wiener Opern-erfolg.
Wie sehr sich Mozart zwischen 1770 und 1779 als Musikdramatiker entwickelte und profilierte, zeigen auch die Ausschnitte aus „Thamos“, Mozarts einziger Schauspielmusik. Diese Chöre und Zwischenaktmusiken stehen am Beginn einer Tradition, die über Beethoven und Mendelssohn bis Sibelius reicht. Nicht nur das Sujet, die exotische Welt von Heliopolis, erinnert dabei an sein berühmtestes Singspiel. Auch die Musik klingt wie eine Mischung aus Händel und Proto – „Zauberflöte“. Dass Mozart fast zehn Jahre, in Salzburg und später in Wien, an der Musik bastelte, zeigt, dass ihm die Musik am Herzen lag.
In Mozarts „Mitridate“ hingegen hört man nicht ‚den späten Mozart im frühen‘ oder ‚den bekannten im unbekannten‘. Man hört, wie die fest strukturierte Welt der italienischen Opera seria klingt, wenn sich ein junger Mozart ihrer annimmt. Der gegebene Vergleich wäre nicht der mit einem „Don Giovanni“, sondern mit Myslivečeks „Il Bellerofonte“, Paisiellos „Lucio Papirio dittatore“ und Jommellis „Fetonte“. Was sofort erstaunt, bei aller typischen Bausteinstruktur der Komposition, ist die Virtuosität der Arien und die erstaunliche dramatische Reife des 14-Jährigen. Kein Wunder, dass es in Mailand zu einem frühen Triumph für das Wunderkind wurde. Mit Birgit Kajtna-Wönig und Adam Fischer wird „Mitridate“ zu einem Plädoyer für den „unbekannten Mozart“ – nicht als Randnotiz, sondern als Schlüssel zu seinem Werk. Beide Abende werfen somit ein Licht auf jenen Mozart, der nicht nur fertiges Genie war, sondern den Weg dorthin – mit all seinen Experimenten und Brüchen – finden musste.
Text: Jens F. Laurson
Zuerst erschienen am 31.05.2025 in Die Presse Kultur Spezial: Salzburger Festspiele