Orchester zu Gast

Ein Kaleidoskop des Zusammenklangs im internationalen Orchesterreigen des diesjährigen Festspielsommers

© SF/Marco Borrelli

Concertare bedeutet im Lateinischen unter anderem streiten, wetteifern, kämpfen. Im Konzert messen sich demnach verschiedene Parteien, zum Beispiel eine Solistin mit dem Orchester. So kompetitiv muss es allerdings nicht gemeint sein, man kann auch das italienische concertare heraushören: Seit 1519 in musikalischem Zusammenhang nachweisbar, bedeutet es eigentlich das Gegenteil seines lateinischen Ahnen – nämlich aufeinander abstimmen, zusammenspielen von Instrumenten, die klanglich harmonieren und deshalb ein Ensemble bilden.

Das Konzertprogramm der Salzburger Festspiele bietet wie immer beides. Wer möchte, kann darin auch einen Wettstreit zwischen einigen der berühmtesten Klangkörper der Welt erblicken. Andere hingegen mögen sich besonders daran erfreuen, wie harmonisch und feinsinnig die verschiedensten musikalischen Zugänge und stilistischen Ausprägungen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert in exemplarischer Vielfalt zusammenwirken. Auf historischem Instrumentarium und nach dokumentierten Gepflogenheiten der jeweiligen Periode spielen und singen Il Canto di Orfeo mit Les Musiciens du Prince – Monaco unter Gianluca Capuano Mozarts c-Moll-Messe (6./7.8.), und Jordi Savall macht mit seinem Originalklangensemble Le Concert des Nations das Aufwühlende und Unerhörte von Franz Schuberts „Unvollendeter“ und seiner großen C-Dur-Symphonie neu erlebbar (1.8.).

Am anderen Ende der Skala finden sich jene Ensembles, die sich der lebendigen Gegenwart widmen. Das Klangforum Wien unter der Leitung seines Ehrenmitglieds Sylvain Cambreling entwickelt etwa die schillernde Musik des Jahresregenten Pierre Boulez (1925–2016) aus den Traditionslinien von Maurice Ravel und Edgard Varèse (23.8.). Und das nach Jean Genets gleichnamigem Theaterstück benannte Ensemble Le Balcon stellt mit seinem Leiter und Mitbegründer Maxime Pascal am Pult den Komponisten Boulez in Zusammenhang mit seinen Wegbegleitern Karlheinz Stockhausen und Luigi Nono. Live-Elektronik ist dabei das jüngste Musikinstrument (19.8.).

Innerhalb dieses Bogens ermöglicht die klassische Kombination aus Solokonzert und Symphonie immer wieder anregende Dialoge. Für Felix Mendelssohns selten zu hörendes g-Moll-Klavierkonzert etwa setzt sich Lang Lang ein, auf das das West-Eastern Divan Orchestra unter Daniel Barenboim Ludwig van Beethovens Eroica folgen lässt (15.8.); das Gustav Mahler Jugendorchester unter Manfred Honeck tut es ihnen mit der Klangpracht und den Gefühlseruptionen von Erich Wolfgang Korngolds Violinkonzert (Solist: Renaud Capuçon) und Peter I. Tschaikowskis Fünfter Symphonie gleich (23.8.). Alexander Melnikov ist Solist in Dmitri Schostakowitschs jugendlich-heiterem Klavierkonzert Nr. 2, das der Komponist seinem Sohn Maxim zum 19. Geburtstag zugeeignet hat, Teodor Currentzis und Utopia stellen dem Klavierkonzert die kindlich-lebensweise Naivität von Mahlers Vierter zur Seite (Sopransolo: Regula Mühlemann, 18.8.). Hier wie in Mahlers Neunter (Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko, 31.8.) gilt: Zuletzt verlöschen alle konzertanten Kämpfe zugunsten der Ahnung jenseitiger Harmonie.

 

Walter Weidringer
Zuerst erschienen in der Festspielbeilage der Salzburger Nachrichten