Musikalische Traditionslinien
Orchester zu Gast bei den Salzburger Festspielen
Jubelfeiern und Katastrophisches, traurige Märchen und politische Appelle, kontrapunktische Meisterleistungen und seelische Abgründe: Die Programme der gastierenden Klangkörper aus Europa und den Vereinigten Staaten offenbaren Vielgestaltiges. Sie umfassen Musik von Bach und Händel über die Wiener Klassik bis zur Gegenwart – und prunken sowohl bei den Komponisten wie auch den Interpret·innen mit großen Namen.
Ein willkommener Beethoven-Schwerpunkt ergibt sich, weil Le Concert des Nations und Jordi Savall an zwei Abenden (6. August und 9. August) ihren aufregenden Symphonien-Zyklus komplettieren, den sie letzten Sommer begonnen haben. Von hier aus verzweigen sich die musikalischen Traditionslinien: zu Anton Bruckner – dessen Geburtstag sich in diesem Jahr zum 200. Mal jährt – und dem Klang-Dom seiner Fünften etwa, die Kirill Petrenko mit den Berliner Philharmonikern zur Aufführung bringt; tags darauf flankiert von einem weiteren Jahresregenten, nämlich Bedřich Smetana und seinem packenden Zyklus Mein Vaterland. Zu Gustav Mahler, dessen Fünfte Manfred Honeck und das Pittsburgh Symphony Orchestra mitbringen, und der düsteren Sechsten, der „Tragischen“, die Simon Rattle und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ausgewählt haben. Ähnlich bewegend, ja niederschmetternd endet Tschaikowskis Pathétique, mit der sich Hankyeol Yoon am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien als Gewinner des Herbert von Karajan Young Conductors Award 2023 dem Festspielpublikum präsentiert. Bei russischer Musik knüpft auch das Oslo Philharmonic mit dem international bereits in der ersten Liga gehandelten jungen finnischen Dirigenten Klaus Mäkelä unter anderem mit Dmitri Schostakowitschs Fünfter an, die mit einem berühmten, zweideutigen Triumph endet.
Drei Geigerinnen spielen große Violinkonzerte der Romantik: Anne-Sophie Mutter, seit unglaublichen 47 Jahren eine der beliebtesten Festspielkünstlerinnen, kommt auf Brahms zurück; Lisa Batiashvili, seit 2006 immer wieder zu Gast, glänzt mit Tschaikowski, und María Dueñas gibt mit Bruchs g-Moll-Konzert ihr Debüt. Yefim Bronfman brilliert mit Rachmaninows Drittem Klavierkonzert. Ein weiterer Jubilar des Jahres, Arnold Schönberg, ist mit dem spätromantisch-symbolistischen Orchesterwerk Pelleas und Melisande im Konzert des West-Eastern Divan Orchestra unter Daniel Barenboim vertreten. Und Ingo Metzmacher verwirklicht mit dem Gustav Mahler Jugendorchester ein ganz besonderes Programm, das mit den Wirkungen von Klang in Raum und Zeit spielt: in Werken von Beethoven bis Luigi Nono, von Richard Wagner bis Arnold Schönberg.
Walter Weidringer
zuerst erschienen in der Festspielbeilage der Salzburger Nachrichten 2024