14 Jul 2023

Lux Aeterna

Ouverture Spirituelle

Die Ouverture spirituelle kreist in bewegenden Werken von der Renaissance bis zur Gegenwart um das Licht, die göttliche, Leben spendende Helligkeit.

„Lux aeterna luceat eis – das ewige Licht leuchte ihnen“: So heißt es im Introitus der Totenmesse. Die Seelen der Verstorbenen sollen nicht immerwährender Nacht anheimfallen. Mit gutem Grund setzt auch der biblische Schöpfungsmythos mit dem Ende der Dunkelheit ein: „Es werde Licht!“ Helligkeit, Wärme und Geborgenheit, Richtung und Ziel, aber auch Vernunft und Aufklärung schwingen mit – ebenso wie das göttliche Leuchten. Die Ouverture spirituelle bildet das 2023 erneut auf beziehungsreiche Weise musikalisch ab, mit Kompositionen quer durch die Jahrhunderte – und namhaften Interpret·innen.

Olivier Messiaen war bereits über 80 Jahre alt, als er seine musikalisch geprägte Spiritualität nochmals in allen Farben zum Klingen brachte. Mit irdischen Ohren konnte er seine Éclairs sur l’Au-delà… jedoch nicht mehr hören, da er nur wenige Monate vor der Uraufführung 1992 verstarb. Woran Messiaen geglaubt und was er geliebt hat, das lässt sich in diesen „Streiflichtern über das Jenseits“ erleben. Doch auch ohne religiösen Bezug kann man in jener musikalischen Schönheit schwelgen, in die Messiaen seine Überzeugungen, Hoffnungen, Ahnungen kleidete. Ingo Metzmacher erarbeitet das Werk mit dem SWR Symphonieorchester.

„Es werde Licht!“, heißt es auch in Joseph Haydns Schöpfung. Die Notenblätter mit der entsprechenden Stelle soll Haydn erst unmittelbar vor der Uraufführung verteilt haben – mit unglaublichem Effekt: Die Musik raubte dem Publikum schlicht den Atem. Ein tönender Urknall oder schon das Aufblitzen der Vernunft, des Lichtes der Aufklärung? Jordi Savall wird das Oratorium mit seinen Ensembles zum Schillern bringen.

Zum realen wie zum spirituellen Licht streben auch viele weitere Werke aus Vergangenheit und Gegenwart. Sofia Gubaidulinas Sonnengesang etwa, in dem die mittlerweile 91-jährige Komponistin 1997 auf das berühmte Gebet von Franz von Assisi zurückgegriffen hat. Zusammen mit den Musikalischen Exequien des Heinrich Schütz ist Gubaidulinas Werk mit Julia Hagen am Cello, Christoph Sietzen, Bogdan Bacanu (Schlagzeug) und dem Los Angeles Master Chorale in der Regie von Peter Sellars zu erleben.

Die kluge, Stil- und Epochengrenzen mit poetischer Kraft überschreitende Programmdramaturgie macht den speziellen Zauber der Ouverture spirituelle aus und versammelt seit Jahren eine treue Fangemeinde zum Auftakt des Festspielsommers zumeist in der Kollegienkirche. Der Bogen reicht von der Renaissance – mit Werken für Begräbnisriten und Karwoche – bis zur Neuzeit, zu Musik, die das Licht feiert oder die das Dunkel in Klang verwandelt: etwa in Salvatore Sciarrinos Infinito nero oder in Gérard Griseys letztem Werk Quatre chants pour franchir le seuil.

Am notwendigsten bedürfen wir des Lichts in unseren dunkelsten Momenten, im Angesicht des Todes – und ohne Finsternis wäre auch kein Licht denkbar. Das kommt in Claude Viviers Wo bist du Licht! mit dem Klangforum Wien ebenso zur musikalischen Sprache wie im Film Blue des bereits sterbenskranken Derek Jarman. Und nicht zuletzt im Konzert des Huelgas Ensembles unter Paul Van Nevel mit einer Auswahl aus Orlando di Lassos Prophetiae Sibyllarum, ergänzt um ET LUX für Vokal und Streichquartett (Minguet Quartett) von Wolfgang Rihm: eine Art Requiem-Vertonung, die erinnerte Textsplitter der lateinischen Totenmesse zu einem neuen Klangstrom amalgamiert. Kein Zufall, dass hier erneut das Licht im Titel leuchtet.

Walter Weidringer

Mit großzügiger Förderung von Prof. Dr. h. c. mult. Reinhold Würth und der Würth-Gruppe

zuerst erschienen in der Festspielbeilage der Salzburger Nachrichten