Klanggenuss
Hamlet von Ambroise Thomas und Capriccio von Richard Strauss werden konzertant auf die Bühne gebracht.
Hamlets Rache und ihre Auswirkungen auf Ophelia: Sie stehen bei Ambroise Thomas’ Oper „Hamlet“ im Fokus, die heuer bei den Salzburger Festspielen unter dem Dirigat von Bertrand de Billy zur konzertanten Aufführung in die Felsenreitschule gebracht wird. Shakespeare-Adaptionen waren zu Lebzeiten des Komponisten groß in Mode, auch „Ein Sommernachtstraum“ hat er vertont – und ließ darin sogar den großen William selbst als Figur auftreten. Auch der Oper „Hamlet“ gab er einen eigenen Dreh, indem er Ophélie auf Augenhöhe mit dem Titelhelden auftreten lässt und sich auf die im Zentrum stehende Intrige konzentriert. Trotzdem baute er in der Tradition der Grand Opéra üppige Ensembleszenen und ein umfangreiches Ballett ein. Der französischen Bearbeitung des literarischen Stoffes von Alexandre Dumas dem Älteren und Paul Meurice folgend, übernahm er vorerst auch das Ende, in dem Hamlet zum König ausgerufen wird. Dies arbeitete Thomas jedoch kurze Zeit nach der Uraufführung um – und ließ nun auch Hamlet sterben anstatt krönen, als die Erstaufführung in London 1869 über die Bühne des Opernhauses Covent Garden ging, nun in italienischer Sprache. Thomas ordnete jeder Figur Instrumente zu, so stehen Flöte und Harfe etwa für Ophélie. Die unheimliche Klangatmosphäre des Geistes wird von Englischhorn und Baritonsaxophon unterstützt.
Atmosphärisch aufgeladen. War sein „Hamlet“ nach der Uraufführung 1868 im 19. Jahrhundert noch oft auf den Spielplänen, geriet die Oper über längere Zeit in Vergessenheit, bevor man sie in den vergangenen Jahrzehnten wiederentdeckte und beispielsweise zuletzt an der Opéra de Paris in der Regie von Krzysztof Warlikowski herausbrachte (dieser inszeniert in Salzburg diesen Sommer „Der Idiot“). Wenn „Hamlet“ von Ambroise Thomas nun konzertant bei den Salzburger Festspielen zur Aufführung gelangt, werden unter der musikalischen Leitung von Bertrand de Billy Stéphane Degout als Hamlet und (wie auch schon in Paris) Lisette Oropesa in der Rolle der Ophélie zu hören sein, Letztere singt die wohl berühmteste Szene der Oper: die Wahnsinnsarie „À vos jeux, mes amis“. Jean Teitgen wird als Claudius und Ève-Maud Hubeaux als Gertrude zu erleben sein. Die Klänge, die oft von melodischer Erfindungsgabe zeugen sowie dramatische Konfrontationen und atmosphärisch aufgeladene Szenen bringen, kommen vom Mozarteumorchester Salzburg.
Die andere konzertante Opernaufführung des Festspiel-Sommers in Salzburg ist „Capriccio“ von Richard Strauss. In seinem Konversationsstück mit Musik, das auf einer Idee von Stefan Zweig basiert und von mehreren Autoren umgesetzt wurde, wird die Raffinesse des Komponisten ebenso spürbar wie sein großes Talent für die Nutzung von Wortwitzen und sprachlichen Feinheiten. Zudem ist das Werk gespickt mit Anspielungen auf andere Werke und Komponisten, von „Le nozze di Figaro“ über „Tristan und Isolde“ bis zu den „Meistersingern“ und „Falstaff“, aber auch zu Gaetano Donizetti und Gioachino Rossini, Jean-Philippe Rameau und François Couperin. Und großzügig zitiert Strauss auch aus eigenen Opern, nicht selten lassen die „Rosenkavalier“-Marschallin oder „Ariadne auf Naxos“ grüßen.
Ästhetische Debatte. Christian Thielemann, der das Werk als eines seiner Lieblingsstücke bezeichnete, wird am Pult stehen, er kündigte eine halbszenische Aufführung an. Thielemann leitet die Wiener Philharmoniker. Elsa Dreisig wird als Gräfin, Bo Skovhus als Graf zu hören sein, Regula Mühlemann gibt die italienische Sängerin, Josh Lovell den Tenor. Sebastian Kohlhepp und Konstantin Krimmel konkurrieren als Musiker und Dichter, Mika Kares verkörpert La Roche, den Theaterdirektor. Torben Jürgens ist der Haushofmeister.
In Strauss’ letztem Bühnenwerk, das 1942 in München uraufgeführt wurde und das so manche als sein musikdramatisches Testament verstehen, dreht sich alles um die ästhetische Debatte: Was ist in der Kunst mehr wert: Dichtung oder Musik? Diese Frage wird in die symbolträchtige Liebesrivalität zwischen Dichter Olivier und Musiker Flamand verpackt, die im Paris des Jahres 1775 die kunstsinnige Gräfin Madeleine umwerben. Wird sie sich zwischen den beiden Männern, und vor allem, wird sie sich zwischen den beiden Kunstformen entscheiden können? Die Aufführung im Großen Festspielhaus vergegenwärtigt die von Strauss gewünschte Selbstreflexion des Musiktheaters einmal mehr.
Theresa Steininger
Zuerst erschienen am 11.05.2024 in Die Presse Kultur Spezial: Salzburger Festspiele