„In My End is My Beginning“
Maria Stuart

In einer Zeit beunruhigender Weltläufte gewährt das Festspielprogramm 2025 Blicke in historische Machtzentren und auf Extremsituationen des menschlichen Daseins. In den zentralen Werken des kommenden Festspielsommers verdichten sich wie unter einem Brennglas unsere Zweifel, unsere Einsamkeiten, unsere Ängste – aber auch die lichtesten Hoffnungen und Sehnsüchte. Sie ermöglichen es uns, das Ungeheuerliche zu schauen und in einem geschützten Raum über die Welt und die Bedingungen der Conditio humana, also unserer Existenz, nachzudenken. Wie in Maria Stuarts Kleid scheinen auch dem Festspielprogramm die Worte „In my end is my beginning“ eingewoben.
Wir blicken auf die historischen Machtzentren um Giulio Cesare in Rom und Ägypten, Macbeth in Schottland und Maria Stuart in England. Hier stehen die Mächtigen im Zentrum. Doch auch jenseits der Macht geht es um nichts anderes als das eigene Überleben. Alle Protagonisten dieser Opern stehen kurz vor dem Ende: Sie blicken mitten hinein („Macbeth“), sie fürchten es („Giulio Cesare“), sie inszenieren es triumphal („Maria Stuarda“), rufen es sehnsüchtig herbei („Drei Schwestern“), erleben es im Fieber höchster Erregung („Erwartung“) und finden schließlich Trost und Überwindung im Kosmos („Das Lied von der Erde“).

Die Oper. Machtstreben, Hybris und Maßlosigkeit auf der einen Seite, melancholische Passivität, Zeit- und Ziellosigkeit sowie Transzendenz und Weltflucht auf der anderen Seite markieren den Aktionsradius und den Zeithorizont der Handelnden. Sie streben mit aller Gewalt nach Macht, erwarten angstvoll das Kommende und erheben sich in ungeahnte Höhen. Sie begehren maßlos, leiden in Ungewissheit, scheitern hilflos und hoffen – so wie wir.
Georg Friedrich Händels „Giulio Cesare“ führt uns auf eine Art Kampfplatz, jeder kämpft hier gegen jeden. Die Einsamkeit am Gipfel der Macht wird uns schonungslos vor Augen geführt. Ein tödliches Spiel um die Macht kettet auch Maria Stuart und Elisabeth I. – für Stefan Zweig die Verkörperung einer „großen welthistorischen Antithese“ – unauflöslich aneinander. Zwei Königinnen, zwei Gegenspielerinnen, zwei Frauen in der Mitte des 16. Jahrhunderts.
Gefangen im Rausch machtvoller Prophezeiungen wird der schottische Herrscher Macbeth in Verdis gleichnamiger Oper zum Getriebenen seines Wahns und seines moralischen Falls. Eine Bewegung des Sich-Entfernens aus der Welt zeichnen sowohl Peter Eötvös in seinen „Drei Schwestern“ in seiner von Anton Tschechow inspirierten Oper als auch ein Doppelabend, der Arnold Schönbergs „Erwartung“ und den „Abschied“ aus Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ unter dem Titel „One Morning Turns into an Eternity“ miteinander vereint. In einem von Raphaël Pichon für Salzburg konzipierten Mozart-Projekt wird der „Weg des Lichts“ beschworen, eine Vision vom Menschsein, die in Eötvös’ Oper ein Traum, eine nicht erreichbare Sehnsucht bleibt.

Das Konzert. Ausgehend von der auch in den Opernwerken gestellten Frage nach der Willensfreiheit des menschlichen Handelns sind in der diesjährigen Ouverture spirituelle unter dem Titel „Fatum“ Werke programmiert, in denen der schicksalhaften Determiniertheit unseres Handelns nachgespürt wird. In tragischen Schicksalsmusiken, klangvollen Weissagungen und chorischen Beschwörungen wird die göttliche Bestimmung musikalisch ausgelotet, werden Auflehnung und Verrat thematisiert, wird von fatalen Verstrickungen erzählt und das individuelle Fatum sowie das Los ganzer Völker beleuchtet.
Über Jahrzehnte hinweg verband Pierre Boulez eine innige Beziehung mit Salzburg. Die Festspiele wurden zum Ort einer intensiven und unvergesslichen Zusammenarbeit mit den Wiener Philharmonikern. In einer Konzert-Hommage anlässlich seines 100. Geburtstags gedenken die Salzburger Festspiele seinem hochbedeutenden Wirken als Komponist und Dirigent.
In einem weiteren Schwerpunkt des Konzertprogramms steht in der Person des vor 50 Jahren verstorbenen Dmitri Schostakowitsch einmal mehr die Kunst im Angesicht gesellschaftlicher, politischer und individueller Ausnahmesituationen im Fokus. Der russische Komponist, Pianist und Pädagoge litt sein Leben lang unter den Zwängen, Bedrohungen und Verfemungen seines Heimatlandes. In seinen Werken erweist sich bis heute, wie mutig und risikobereit Dmitri Schostakowitsch letztlich geblieben ist – und wie viel seine Musik über uns und unsere Gegenwart aussagt.

Das Schauspiel. Hofmannsthals „Jedermann“, der im Angesicht des Todes Rückschau hält, dessen Erinnerungen in der Todesstunde gerinnen – und der dennoch Erlösung erfährt: In dieser Figur verdichtet sich das immer wieder auf dem Prüfstand stehende traditionsreiche Salzburger Spiel vom Ende eines Mächtigen, eines Reichen, eines in der Todesstunde Bangenden.
Diesem „Spiel vom Sterben“ sind weitere „Endspiele“ zur Seite gestellt. Sie erzählen ebenfalls von Extrempunkten des menschlichen Daseins. Scharfsinnig analysiert Karl Kraus in seinem monumentalen Endzeit-Drama „Die letzten Tage der Menschheit“ die Absurdität des Krieges. Mithilfe eines riesenhaften Panoptikums an Charakteren legt er die Mechanismen von Gewalt, Macht und Propaganda frei.
Ein gänzlich anderes Figurenpersonal versammelt Vladimir Sorokin in seinem Roman „Der Schneesturm“, die Erzählung einer fantastischen Irrfahrt durch das ländliche Russland einer nahen Zukunft. Einer Suche nach der verlorenen Zeit gleicht Julien Gosselins Stück „Le Passé“. In der für ihn typischen Verbindung von Theater, Text, Bild und Musik verwebt der französische Regisseur Werke des russischen Literaten Leonid Andrejew zu einer Reise in die Vergangenheit. Es ist ein beständiges erfragen der Erinnerung, ihres Schmerzes, aber auch ihrer Schönheit. Anfang und Ende, Untergang und Erlösung, umarmende Kälte und das Herz der Helligkeit, Leben und Traum – von unserem ambivalenten Erleben, unserer inneren Zerrissenheit, von der Gleichzeitigkeit von Dunkel und Licht, von Ende und Utopie: Auch davon erzählen die Stoffe des diesjährigen Schauspielprogramms.
Zuerst erschienen am 31.05.2025 in Die Presse Kultur Spezial: Salzburger Festspiele