Donata Wenders, In the Snow IX, Allgäu, 2010, Silver Gelatin Print © Donata Wenders
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„Und plötzlich, da begriff er, dass die Reise kein glückliches Ende genommen hatte und nun etwas Neues begann.“

Nach seinem Titel gefragt, gibt der Autor eine Antwort, die in die Zukunft führt. „Ich liebe den Schnee. Der Schnee bedeckt die Erde und alles wird schön. Da sind die Verwerfungen, all die Widersprüche des Alltags und dann schneit es und die Welt ist schön“, sagt Vladimir Sorokin im Gespräch über seinen Roman, der wie bei Puschkin und Tolstoi den Titel Метель (Schneesturm) trägt und auf den ersten Blick ein Kondensat, ein Intertext der russischen Schneesturmtradition zu sein scheint. „Wenn Sie unterwegs sind und in einen Schneesturm geraten, war es das. Es ist ein schönes Phänomen, aber auch ein schreckliches, schicksalhaftes Ereignis. Meine Erzählung hat in Wahrheit drei Protagonisten: den Arzt, seinen Kutscher und den Schneesturm. Am Ende siegt der dritte.“

Wie die Schönheit des Schnees ist auch die Sprache des 19. Jahrhunderts, in der Sorokin erzählt, eine Täuschung. Der hellsichtige Visionär führt uns mit Referenzraum, Personal und Erzählsound zunächst in die Irre. Die postapokalyptische Odyssee des Arztes Garin, der einen Impfstoff in eine abgelegene Ortschaft bringen will, wo eine mysteriöse Seuche die Bewohner·innen in Zombies verwandelt, spielt in der Zukunft.

Auf einer retrofuturistischen Kutschfahrt durch ein weißes, weites Land — nichts in Sicht außer Schnee — verlieren Leser·innen wie Figuren jedes Gefühl für Entfernung und Zeit. Sie begegnen grotesken Gestalten, Riesen und Zwergen, erleben erotische Eskapaden und drogeninduzierte Halluzinationen. Die sind so schrecklich, dass das einfache Leben wieder lebenswert erscheint. Die Reise verliert ihr Ziel aus dem Blick, die Katastrophe hält den Atem an und die Mission bleibt unerfüllt.

In der finalen Begegnung mit dem Schneesturm kommt die existenzielle Road Novel an ihr Ende. Die bemerkenswerte Schlusspointe des Romans deutet auf etwas Neues, das auf uns zukommt und unsere kollektive Vorstellungskraft überfordert: Der halb erfrorene Doktor und sein toter Kutscher werden ausgerechnet von Chinesen gefunden. Chinesen, die alles Verwertbare einsammeln, um den Ort des Scheiterns dann gleichgültig dem endlos fallenden Schnee zu überlassen. Aber wohin bringen sie ihre Beute? Und was folgt auf das Ende unserer vertrauten Welt?

Nach seiner Inszenierung gefragt, antwortet der Regisseur mit einer fragmentarischen Aufzählung. „Schnee. Kleine Pferde. Eine gläserne Pyramide. Der Weg. Unendlichkeit. Sehnsucht. Sturm. Nichts. Traum. Täuschung. Wind. Riesen. Dunkelheit. Zweifel. Gefrorene Zeit. Ein Fehler. Die verlorene Welt. Zombies. Der Impfstoff. Schicksal. Kampf. Tod. Ein eiskalter Raum. Erlösung?“

Auch in Kirill Serebrennikovs Inszenierung ist der Schneesturm Hauptfigur. Er ist vielstimmig und meist weiblich. Er führt und verführt. Er schimpft, tanzt, singt, schweigt und stellt die letzten Fragen. Er bringt die alles umarmende Kälte. Und den Schlaf, den man nicht schlafen darf. Er führt uns ins Herz der Helligkeit. Whiteout. Der Horizont verschwindet, Erde und Himmel gehen nahtlos ineinander über. Die vertraute Welt, Farben und Formen verschwinden, Referenzpunkte, Kontraste, Konturen lösen sich auf. Man befindet sich inmitten eines vollkommen leeren, unendlich ausgedehnten weißen Raums und verliert das Gleichgewicht.

In diesem Taumel der absoluten Orientierungslosigkeit verortet Kirill Serebrennikov seine Inszenierung. Ein existenzielles Cabaret führt das Publikum in den Kontrollverlust.
Wo ist unten, wo oben?
Wohin soll ich gehen?
Warum überhaupt weitergehen?
Wie wird es enden?
Mit Tod oder Rettung?

Birgit Lengers

 

Vladimir Sorokin gilt als einer der bedeutendsten russischen Prosaautoren der letzten Jahrzehnte und einer der schärfsten Kritiker des russischen Staates und dessen Krieges gegen die Ukraine. Der international anerkannte Regisseur und ehemalige Künstlerische Leiter des Gogol-Zentrums in Moskau, Kirill Serebrennikov, hat seit dem Beginn des Angriffskriegs in der Ukraine Russland verlassen und lebt in Deutschland. 2023 gründete er seine Theatergruppe KIRILL & FRIENDS mit Sitz in Berlin.

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In deutscher Sprache mit englischen Übertiteln

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