Donata Wenders, Tsai-Chin, Wuppertal, 2011, Silver Gelatin Print © Donata Wenders
Arnold Schönberg (1874 - 1951)
ERWARTUNG
Monodram in einem Akt für Sopran und Orchester op. 17 (entstanden 1909, uraufgeführt 1924)
Text von Marie Pappenheim
Gustav Mahler (1860 - 1911)
DER ABSCHIED
für Alt und Orchester, aus Das Lied von der Erde (entstanden 1908, uraufgeführt 1911)
Text nach Hans Bethges Nachdichtungen von zwei chinesischen Gedichten von Meng Haoran
beziehungsweise Wang Wei, bearbeitet von Gustav Mahler

„Ich stehe hier und harre meines Freundes; Ich harre sein zum letzten Lebewohl.“

Gustav Mahler und Arnold Schönberg, verbunden durch gegenseitige Bewunderung und großen Respekt füreinander, haben die Musik des frühen 20. Jahrhunderts entscheidend geprägt und mit ihren innovativen Ideen eine Brücke zwischen Romantik und Moderne geschlagen. Dieser Abend mit Werken der beiden Komponisten entfaltet einen Dialog zwischen zwei bedeutenden künstlerischen Visionen, die auf existenzielle und persönliche Fragen unterschiedliche Antworten geben und sich dabei wechselseitig ergänzen.

1909 komponierte Arnold Schönberg das Monodram Erwartung für Sopran und Orchester auf ein Libretto der Wiener Dichterin und Ärztin Marie Pappenheim. Der Text folgt den Gedanken einer Frau, die in einem finsteren Wald nach ihrem Geliebten sucht und ihn schließlich tot auffindet. Schönberg schuf hierfür eine ausdrucksstarke Partitur, in der jede musikalische Phrase wie eine spontane Gefühlsäußerung der Protagonistin erscheint.

Es wird allgemein angenommen, dass Erwartung durch Sigmund Freuds Theorie der Hysterie beeinflusst wurde. Dieser Theorie traten später Alice Miller und die feministische Psychoanalyse entgegen, die Regisseur Peter Sellars als Inspirationsquelle nutzt. Die von Freud befragten Frauen haben ihre Traumata nicht erfunden, sie wurden belästigt und misshandelt. Ihre Zustände waren nicht das Ergebnis einer physischen Funktionsstörung, sondern vehementer Ausdruck der Realität. Dies wurde durch neue wissenschaftliche Untersuchungen bestätigt, die den Nachweis liefern, dass Traumata in jede Zelle unseres Körpers weitergetragen werden.

In einer Zeit, in der Gewalt allgegenwärtig und die Zukunft ungewiss ist, deutet Peter Sellars das Extreme und die Intensität in Schönbergs Erwartung nicht als expressionistische Übertreibungen, sondern als Spiegelbild tatsächlicher existenzieller Verletzungserfahrungen. Er inszeniert Schönbergs Meisterwerk nicht als Porträt einer Frau, die die Orientierung verliert, sondern als lyrisches Poem, in dem Ungewissheit, Zerrissenheit und eine der Verzweiflung abgetrotzte Hoffnung zum Ausdruck kommen.

Etwa zur gleichen Zeit wie Erwartung entstand Gustav Mahlers „Der Abschied“, der letzte Satz seines Zyklus Das Lied von der Erde, der zu den eindringlichsten und bewegendsten Werken des Komponisten zählt. Mahler schuf den Zyklus in einer sehr belastenden persönlichen Situation: Er musste kurz zuvor von seinem Posten als Direktor der Wiener Hofoper zurücktreten, betrauerte den Tod seiner unlängst verstorbenen Tochter und war durch eine Herzkrankheit gesundheitlich geschwächt. Diese leidvollen Erfahrungen wurden zum Impuls für eine Meditation über Endlichkeit und Sterblichkeit, für die er eine Form entwickelte, die sich kaum einordnen lässt und sich zwischen Symphonie und Vokalzyklus bewegt. Das Lied von der Erde — insbesondere „Der Abschied“ — entfaltet außergewöhnlich subtile Klanglandschaften, in denen der Rhythmus der Jahreszeiten ebenso spürbar wird wie der Kreislauf des Lebens. Mahler hat nie eine Oper komponiert, doch diese Partitur vermittelt eine traumartige Vorstellung davon, welche Bühnenwerke er hätte schaffen können — und dieser Traum wird nun dank der wiederholten kongenialen Zusammenarbeit zwischen Peter Sellars und dem Dirigenten Esa-Pekka Salonen Wirklichkeit.

In „Der Abschied“ wird eine Frau gezeigt, die auf einen Freund wartet, um ihm für immer Lebewohl zu sagen. Als Textgrundlage verwendete Mahler chinesische Gedichte, die Hans Bethge auf Deutsch nachgedichtet hatte, darunter vor allem Verse von Wang Wei, dem berühmten Poeten der Tang-Dynastie. Von diesem stammt auch die Gedichtzeile, die dem Abend den Namen gibt: „Ein Morgen wandelt sich in Ewigkeit“.

Peter Sellars nimmt Mahlers Inspirationsquellen — die chinesischen Gedichte und die östlichen spirituellen Traditionen — als Ansatzpunkt, um die am Ende des Stücks vollzogene Loslösung zu ergründen. Entgegen den Konventionen seiner Zeit wählte Mahler für „Der Abschied“ einen fragilen und offenen Schluss: Die Stimme erlischt mit den Worten „Ewig … ewig …“ und lässt die Zuhörenden in der Schwebe.

One Morning Turns into an Eternity bringt zwei Werke zusammen, die in der Geschichte der Moderne eine Schlüsselrolle spielen, und nimmt uns auf eine introspektive Reise mit, auf der sich Leid und Wut in Offenbarung und Transzendenz auflösen.

Antonio Cuenca Ruiz

Übersetzung aus dem Französischen: Andreas Bredenfeld

 

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