Donata Wenders, Tallulah, Boston, 2018, Photogravure © Donata Wenders

„Elendes Leben! … Ein Hauch erschafft dich, und ein Atemzug zerstört dich.“

Das grausame Bild, das sich gleich zu Beginn von Händels Oper Giulio Cesare in Egitto (1724) bietet, wäre mit Rücksicht auf heutige Sensibilitäten eine Triggerwarnung wert. Nach dem Begrüßungschor für Caesar, den feierlichen Bekenntnissen zum Frieden, taucht ein abgetrennter menschlicher Kopf auf — der Kopf von Caesars politischem Gegner, dem Senatsliebling Gnaeus Pompeius Magnus.

Pompeius’ stummer Kopf bringt die anderen zum Sprechen. Zuallererst Caesar selbst. Was genau ist der Auslöser für seine Empörung? Das politische Attentat an sich oder die Brutalität, mit der der Mord verübt wurde? Oder die Tatsache, dass jemand anderer als Caesar selbst über Pompeius’ Schicksal entschied, dass der Tod seinen Rivalen — so wie später Cato — seiner als Gnade getarnten Macht entriss? Oder macht die greifbare Präsenz eines menschlichen Körperteils die erhabene Vision des Sieges zunichte? Zwar betrachtet Shakespeares Brutus den Tyrannenmord als „a dish fit for the gods, not […] a carcass fit for hounds“, doch die unerbittliche Tragödie des englischen Dramatikers zeigt, wie wahnhaft und vergeblich die Bemühungen sind, den Mord zu ästhetisieren, und konfrontiert den Zuschauer mit den blutigen Fetzen der Toga.

Das grausame Bild von Pompeius’ Kopf wird unserer Wahrnehmung brutal eingeprägt, als Frame im Sinne Judith Butlers. Während wir hinschauen, denken wir über die erschreckende Aktualität eines politischen Attentats nach. Ist dieses Leben beklagenswert? Kann man Mord rationalisieren? Dieses Bild bestimmt unsere Blickperspektive: nicht nur auf die Liebesgeschichte von Caesar und Kleopatra, sondern auch auf die Geschichte der Feindschaft, die Rom, das heißt die ganze Welt, wie sie damals bekannt war, zerstörte. Lukan benennt in Pharsalia die Ursache: „Caesar konnte niemandes Überlegenheit anerkennen, Pompeius konnte keinen Gleichen dulden.“ Keiner der beiden großen Männer, die den Ruhm Roms ausmachten, konnte nachgeben: ein gefährliches Nullsummenspiel, das (wie René Girard aufgezeigt hat) mimetischer Rivalität entspringt und bei dem es darum geht, zu gewinnen und keine Kompromisse zuzulassen. Solche Rivalitäten bildeten jedoch die Grundlage der römischen Gesellschaft mit ihrem cursus honorum, aber auch der elisabethanischen homosozialen Gesellschaft sowie Großbritanniens unter den Hannoveranern. Nicht zufällig hat sich die englische Kultur so gern im antiken Rom gespiegelt und ihre Gegenwart, ihre Helden und Schurken durch die römische Geschichte und deren Protagonisten zu fassen gesucht.

Unversöhnliche Konflikte bestimmen die Dramaturgie von Giulio Cesare — ein ständiger Kampf, in dem jeder in unerwarteten Situationen existenziellen Bedrohungen ausgesetzt ist. Es gibt keine Sicherheitszone. Auch Kleopatra begibt sich in die männliche Welt der Machtkonkurrenz und setzt Gender als eine Waffe ein, die ihr in diesem regellosen Kampf einen Vorteil verschafft. Es ist aufschlussreich, dass Caesars Arie „Va tacito e nascosto“, die den Modus Operandi des predator darlegt, in Händels Manuskript ursprünglich Kleopatra gehörte — die beiden sind in diesem Wettstreit gleichgestellt und bedienen sich der gleichen Techniken.

Die Londoner Royal Academy of Music, für die Händel mit Giulio Cesare seine fünfte Oper (und eine seiner erfolgreichsten) schrieb, widersprach schon in ihrer Struktur einem einseitigen politischen Engagement. Unter den Mitbegründern, Direktoren und Subskribenten dieser Aktiengesellschaft waren sowohl regierungsfreundliche als auch dissidente Whigs und Tories. Händel und sein Librettist Haym sprachen ihr Publikum über Parteigrenzen hinweg an und offenbarten die tiefe Menschlichkeit ihrer Figuren, von denen jede die von der Tradition gesetzten Grenzen der Rolle überschreitet: Es lag ihnen daran, eben jenen Geist der Feindschaft zu überwinden, der mehr als alle politischen Differenzen unsere Welt zu zerstören droht, so wie er einst Rom zerstörte.

Für den Regisseur Dmitri Tcherniakov und die Dirigentin Emmanuelle Haïm ist dies die erste gemeinsame Produktion bei den Salzburger Festspielen. Leidenschaftliches Engagement und kompromisslose Kreativität machen die Zusammenarbeit der beiden (aus der 2024 bereits das einzigartige Gluck-Projekt Iphigénie en Aulide  Iphigénie en Tauride in Aix-en-Provence hervorgegangen ist) für alle Beteiligten wie für das Publikum gleichermaßen spannend.

 

Analena Weres

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8. Januar 2025
Giulio Cesare in Egitto · Programmpräsentation Markus Hinterhäuser
11. Dezember 2024
Giulio Cesare in Egitto | Salzburger Festspiele 2025 – Statement Emmanuelle Haïm
Giulio Cesare in Egitto · Programmpräsentation Markus Hinterhäuser
Giulio Cesare in Egitto | Salzburger Festspiele 2025 – Statement Emmanuelle Haïm
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