Zum Schauspiel

Hofmannsthals Jedermann, der im Angesicht des Todes Rückschau hält, dessen Erinnerungen in der Todesstunde gerinnen – und der dennoch Erlösung erfährt: Diese Figur versinnbildlicht das immer wieder auf dem Prüfstand stehende traditionsreiche Salzburger Spiel vom Ende eines Mächtigen, eines Reichen, eines in der Todesstunde Bangenden. Robert Carsens gefeierte Neuinszenierung aus dem Vorjahr mit Philipp Hochmair als Jedermann, Christoph Luser als Guter Gesell und Teufel sowie Deleila Piasko als Buhlschaft wird im Festspielsommer 2025 mit einigen Neubesetzungen wiederaufgenommen.
Diesem Spiel vom Sterben sind weitere „Endspiele“ zur Seite gestellt. Sie erzählen ebenfalls von Extrempunkten des menschlichen Daseins. Scharfsinnig analysiert Karl Kraus in seinem monumentalen Endzeit-Drama Die letzten Tage der Menschheit die gesellschaftlichen Vorgänge an Kipppunkten. Mithilfe eines gigantischen Panoptikums an Charakteren legt er die Mechanismen von Gewalt, Macht und Propaganda frei und führt uns die Abgründe des Krieges in seiner Absurdität vor Augen.
Ein ganz anderes Figurenpersonal versammelt Vladimir Sorokin in seinem Roman Der Schneesturm, in dem er eine fantastische Irrfahrt durch das ländliche Russland einer nahen Zukunft unternimmt. „Meine Erzählung hat in Wahrheit drei Protagonisten: den Arzt, seinen Kutscher und den Schneesturm. Am Ende siegt der dritte“, erläutert Vladimir Sorokin.
Einer Suche nach der verlorenen Zeit, der vielbeschworenen temps perdu, gleicht Julien Gosselins Stück Le Passé. In der für ihn typischen Verbindung von Theater, Text, Bild und Musik verdichtet der französische Regisseur Werke des russischen Literaten Leonid Andrejew zu einer Reise in die Vergangenheit und hinterfragt die Idee der Beständigkeit der Erinnerung, legt ihren Schmerz und ihre Schönheit zugleich frei.
Anfang und Ende, Untergang und Erlösung, umarmende Kälte und das Herz der Helligkeit, Leben und Traum – von unserem ambivalenten Erleben, unserer inneren Zerrissenheit, von der Gleichzeitigkeit von Dunkel und Licht, von Ende und Utopie … davon erzählen auch die Stoffe des diesjährigen Schauspielprogramms. Komplettiert wird es mit Four New Works der legendären Choreografin Lucinda Childs sowie drei Lese-Abenden: Dörte Lyssewski verleiht den Opfern des Holocaust in der eindringlichen Lyrik der ukrainischen Dichterin Marianna Kijanowska ihre Stimme. Angela Winkler unternimmt mit dem delian::quartett eine musikalisch-wortreiche Reise durch das dichterische Universum William Shakespeares. Und unter der Mitwirkung von Regine Zimmermann, Dominik Dos-Reis, Katja Kolm sowie Christoph Luser findet die Erstlesung von Marina Davydovas Land of No Return statt.
Zuerst erschienen in der Festspielbeilage der Salzburger Nachrichten