Le Passé
Leonid Andrejew


40 Kerzen stehen am vorderen Bühnenrand aufgereiht. Dahinter flackert ein Kaminfeuer. In warmen Sepiatönen dämmert ein reich ausgestattetes russisches Interieur vor sich hin, Teppiche, Mobiliar, Menschen in Kostümen der vorletzten Jahrhundertwende. Julien Gosselin platziert sein Theater in einer untergegangenen Welt: Da beschuldigt ein Abgeordneter der Staatsduma seine Frau Jekaterina Iwanowna der Untreue, schießt dreimal auf sie. Das Theaterstück Jekaterina Iwanowna bildet das Herzstück in einem theatralen Themenabend um den vergessenen russischen Autor Leonid Andrejew, dem Anti-Zaristen und Anti-Bolschewiken, der im Schatten Gorkis und Tschechows seinen Platz im Kanon der russischen Klassiker nicht gefunden hat. Wie immer erweist sich der junge französische Regisseur Julien Gosselin in seiner weit ausspannenden Arbeit als ein Meister im symbolischen Aufladen anekdotischer Details und als ein Meister der filmischen Schauspielführung: Von einigen Videokameras nah begleitet, entspannt sich auf der großen Leinwand über dem Dekor ein aufregend präzises Kammerspieltheater voller wunderschöner Bildkompositionen und liebevoll platzierter Requisiten. Gosselin ist aber auch ein melodramatischer Gesamtkunstwerker, der dem Spiel immer einen opulenten Soundtrack hinzufügt.
Die Erzählungen Im Nebel, Der Abgrund und Die Auferstehung der Toten von Leonid Andrejew flankieren, kommentieren, bereichern einige der Motive der zentralen Handlung um den seelischen und moralischen Untergang. Und sie tun dies mit je unterschiedlichen theatralen Mittel bis hin zum expressionistischen Puppenspiel. Vor allem aber das symbolistische Kurzdrama Requiem bildet den Kern von Gosselins Reflexionen über ein Theater des Weltenendes.
Eberhard Spreng
Zuerst erschienen in der Festspielbeilage der Salzburger Nachrichten