„Miserere mei, Deus, secundum magnam misericordiam tuam“ – „Gott, sei mir gnädig nach deiner Huld“ (Ps 51,3): So beginnt der vierte der sieben Bußpsalmen. Und weiter heißt es: „tilge meine Frevel nach deinem reichen Erbarmen! Wasch meine Schuld von mir ab“. Keinem Geringeren als König David – dem glorreichen Bezwinger Goliaths und gesalbten König Israels – wird dieses Bußgebet zugeschrieben. Jedoch ist David auch ein Ehebrecher, der seine Macht missbrauchte, um den Gatten der Geliebten an die Front und damit in den Tod zu beordern. Wenn selbst das gekrönte Haupt des auserwählten Volkes so schwer gefehlt hat und Buße tun muss, so die theologische Botschaft, wie sehr müssen dann erst wir die Gnade Gottes erflehen?
Das Miserere hat sich durch seine grundlegend menschliche Bitte um Vergebung unserer Schuld in die katholische Liturgie eingeschrieben, besonders ausführlich und intensiv am Schluss der Tenebrae, der Finstermetten am Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag. Als Erbarmensruf, dass Gott sich angesichts der Sünde und des Leids den Menschen barmherzig und liebend zuwende, ist das Miserere auch im Gloria und Agnus Dei des lateinischen Ordinariums präsent, etwa in Bachs h-Moll-Messe. Es ist ein Stoßgebet, das in den dunkelsten Stunden gen Himmel gesendet wird.
Vom rund 520 Jahre alten, fünfstimmigen Miserere des Josquin Desprez, einer der frühesten und berühmtesten Vertonungen des Textes, bis zu Werken des 20. und 21. Jahrhunderts, geschaffen etwa von Arvo Pärt und Klaus Huber, lauscht die Ouverture spirituelle auf die Stimmen der Büßenden. Nicht fehlen darf dabei auch Gregorio Allegris berühmtes doppelchöriges Miserere: Einst stand Exkommunikation auf Kopieren des im Vatikan wohlgehüteten Notentexts – der 14-jährige Mozart schrieb es der Legende nach aus dem Gedächtnis nieder.
Über das Individuum hinausgehende gemeinsame Schuld ist in das Miserere ebenfalls eingeschlossen, etwa die irreversible Ausbeutung der Natur durch die Menschheit, die Patricia Kopatchinskaja zum Thema macht. Oder ein moralisches Konstrukt, das ins Unmenschliche kippt – wie im Beispiel des einst für seine Homosexualität verurteilten Oscar Wilde.
Walter Weidringer
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