11 Jul 2024

Zur Produktion: Les Contes d’Hoffmann

Jacques Offenbach stellt in seinem letzten Werk den romantischen Dichter E. T. A. Hoffmann als Opernfigur auf die Bühne. Er zeigt, wie die tiefe Krise, in die sein Protagonist durch die Trennung von Stella – einer gefeierten Künstlerin – gestürzt ist, kreative Energie freisetzt: Wie um sich das Scheitern seiner Liebesbeziehung zu erklären, improvisiert Hoffmann jene „Erzählungen“, die Offenbachs Oper den Titel gaben und in denen Stella in Gestalt von drei unterschiedlichen Frauen wiederkehrt. Im Interview gibt die französische Regisseurin Mariame Clément erste Einblicke in ihre Sicht auf Les Contes d’Hoffmann.

Wer ist der Protagonist, dem wir in Offenbachs schillernder „opéra fantastique“ begegnen?

Wer Hoffmann eigentlich ist, bildet in der Tat die zentrale Frage, wenn man Les Contes d’Hoffmann inszeniert. Es gilt, die Hauptfigur zu verstehen und zu erkennen, was sie uns vermitteln kann. Auf jeden Fall ist Hoffmann – wie sein reales Modell – ein Künstler, und natürlich ist er der Autor der Erzählungen, die wir in den drei Mittelakten erleben. Ungewöhnlicherweise tritt Hoffmann in diesen Erzählungen aber auch als handelnde Figur auf. Damit transportiert das Stück den Gedanken, dass jeder Künstler in seinen Werken von sich selbst, von seinem eigenen Ich erzählt. In meiner Inszenierung möchte ich erforschen, wie sich Kunst und Leben in diesem konkreten Fall miteinander verweben. Dabei werde ich die drei Erzählungen mit einzelnen Stationen von Hoffmanns Biografie als Künstler verknüpfen.

Die Erzählungen sind alle unglückliche Liebesgeschichten, in denen Hoffmann sich als Opfer der jeweiligen Frauengestalten darstellt …

Das Frauenbild, das sich in Olympia, Antonia und Giulietta widerspiegelt, ist in der Tat nicht unproblematisch: Wir haben eine Puppe, eine Künstlerin, die sich nicht ausdrücken darf, und eine Kurtisane – mit anderen Worten: eine Hure. Die drei Frauen der Erzählungen sind, wie Hoffmann seinem Publikum mitteilt, alle in der „realen“ Frau der Rahmenhandlung enthalten, also in jener Stella, in die Hoffmann wohl immer noch verliebt ist. Strukturell bilden Olympia, Antonia und Giulietta reine Projektionen Hoffmanns, Fantasien des Autors. Es ist mir jedoch wichtig, diesen Frauen – oder dieser einen Frau – ein eigenständiges Leben zu geben und sie nicht nur als Projektionen zu zeigen.

Die Idee, dass Olympia, Antonia und Giulietta Teilaspekte von Stella sind, wird auch dadurch vermittelt, dass diese Rollen von einer einzigen Sängerin verkörpert werden sollen. Hoffmanns Widersacher Lindorf taucht in den drei Erzählungen ebenfalls in verschiedenen Identitäten auf. Wer sind diese sogenannten „Bösewichte“, die alle von demselben Bariton gesungen werden?

Ich finde, man spricht hier oft allzu vorschnell und pauschal von „Bösewichten“, also im Grunde von Verkörperungen des Teufels. Bei meinen Überlegungen zur Inszenierung bildeten diese Figuren insofern einen Ausgangspunkt, als mir auffiel, dass ihre Funktionen in den Erzählungen sehr unterschiedlich sind. Coppélius im Olympia-Akt und Dr. Miracle im Antonia-Akt agieren eigentlich nicht direkt gegen Hoffmann, sein Schicksal ist vielmehr so etwas wie ein Kollateralschaden. Im Giulietta-Akt hingegen haben wir einen Pakt zwischen Giulietta und dem dämonischen Dapertutto, dessen Ziel es ist, Hoffmann die Seele zu rauben. Die Situation ist ganz anders als in den vorangehenden Akten, und was Hoffmann erlebt, erscheint wie eine paranoide Übertreibung. Nicht zuletzt die genaue Untersuchung der Rollen, die die „Bösewichte“ in den Erzählungen spielen, hat mir den Weg gewiesen, wie man die einzelnen Akte inszenatorisch jeweils unterschiedlich erzählen kann.

Wie empfinden Sie die Musik, die Offenbach für Les Contes d’Hoffmann komponiert hat?

Hoffmann ist ein Stück, mit dem ich groß geworden bin – als Französin habe ich das Lied von Kleinzach schon als Kind gesungen! Ich finde, das Spannende und zugleich das Schwierige an dieser Oper ist, dass sie so vielfältig, ja heterogen ist; das gilt musikalisch ebenso wie dramaturgisch. Einerseits hat die Musik, wie immer bei Offenbach, diese unglaubliche Leichtigkeit im besten Sinne. Ich habe schon mehrere Stücke von Offenbach inszeniert und liebe seine Musik, vor allem die Tatsache, dass der Humor bei ihm in der Musik selbst enthalten ist: Es ist musikalisch witzig, nicht nur dramaturgisch. Andererseits sind die Contes d’Hoffmann besonders, weil sie von der dramatischen Intensität her viel stärker sind als die bekannten Operetten von Offenbach. Wir haben also eine enorme Vielfalt in der Musik: witzig und leicht, aber auch sehr tief, rührend und hoch dramatisch. Eine der Herausforderungen bei der Aufführung besteht genau darin, diese vielen Aspekte zur Geltung zu bringen.

Das Gespräch führte Christian Arseni.
zuerst erschienen in der Festspielbeilage der Salzburger Nachrichten

Mit Unterstützung der Freunde der Salzburger Festspiele e.V. BadReichenhall

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