Zur Oper

Wie unter einem Brennglas verdichten sich in den Werken, die in diesem Festspielsommer auf dem Programm stehen, unsere beunruhigenden Zweifel, unsere bedrückenden Einsamkeiten und unsere bedrohlichen Ängste – aber auch die lichtesten Hoffnungen und geheimsten Sehnsüchte. Im Spiel ermöglichen sie uns, Zwischentöne wahrzunehmen, das Ungeheuerliche zu schauen und im geschützten Raum über die Welt und die dringlichen Fragen unserer Zeit, über das Menschsein nachzudenken.
Händels Giulio Cesare führt uns auf einen Kampfplatz, auf dem jeder gegen jeden ringt. Die Einsamkeit am Gipfel der Macht wird uns schonungslos vorgeführt. – Ein Spiel um Macht kettet auch Maria Stuart und Elisabeth I. unauflöslich aneinander. Zwei Königinnen kämpfen um den englischen Thron und verfangen sich in einem Netz von Intrigen. „Was sie auf ewig aneinander bindet, ist ein schrecklicher Fakt: Eine von ihnen muss sterben.“ In Donizettis Maria Stuarda begleiten wir die Titelheldin in ihren letzten Stunden – und ebenso ihre siegreiche Gegenspielerin. – Nicht weniger entsetzlich entspinnt sich die Handlung in Verdis Macbeth. Gefangen im Rausch machtvoller Prophezeiungen wird der schottische Herrscher „zum Spielball seines Wahns, seiner Angst, seines moralischen Falls“. Auf seinem mörderischen Weg in den Untergang begleitet ihn seine Frau, Lady Macbeth.
Eine Bewegung des Sich-Entfernens aus der Welt zeichnen sowohl Peter Eötvös’ Drei Schwestern als auch jener Doppelabend, der zentrale Werke von Arnold Schönberg und Gustav Mahler in One Morning Turns into an Eternity vereint. Ängstliche Erwartung erfüllt die nach ihrem Geliebten suchende Frau in Schönbergs Monodram. In ihrem Fiebertraum trotzt sie der existenziellen Verunsicherung und tiefen Verzweiflung dennoch Hoffnung ab. Der Abschied vom Geliebten entrückt sie schließlich in selige Transzendenz. In einem für Salzburg konzipierten Mozart-Projekt wird der „Weg des Lichts“ beschworen, eine Vision vom Menschsein, die in Eötvös’ Oper ein Traum, eine nicht erreichbare Sehnsucht bleibt.
Machtstreben, Hybris und Maßlosigkeit auf der einen Seite – melancholische Passivität, Zeit- und Ziellosigkeit sowie Transzendenz und Weltflucht auf der anderen Seite markieren den Aktionsradius und den Zeithorizont der Handelnden. Cleopatra, Elisabetta und Maria Stuarda, Lady Macbeth, die drei Schwestern Olga, Mascha und Irina, eine einsame Namenlose und sich ständig Verwandelnde – das sind die starken Protagonistinnen des Festspielsommers 2025. Wie ihre männlichen Spiegelbilder streben sie gewaltvoll nach Macht, erwarten sie angstvoll das Kommende und erheben sie sich in lichte Höhen. Sie begehren maßlos, leiden in Ungewissheit, scheitern hilflos und hoffen – wie wir.
Zuerst erschienen in der Festspielbeilage der Salzburger Nachrichten