7 Jul 2023

Zur Oper 2023

Zur Oper

„Die Zeit ist aus den Fugen“ – in diesen Worten dokumentiert sich Hamlets Verzweiflung angesichts der Erkenntnis der ihn umgebenden Welt.

Dieses berühmte Zitat geleitet uns programmatisch vor allem durch den Opernspielplan der diesjährigen Salzburger Festspiele. Durch die aktuellen Krisen und globalen Verwerfungen drohen auch die Ordnung und die Gewissheiten unserer Zeit zu zerfallen. „Die Zukunft hält nicht mehr, was sie einmal versprochen hatte, die Gegenwart ist unübersichtlich geworden und die Vergangenheit gibt keine Ruhe und kehrt in vielfältigen Gestalten zurück.“ (Aleida Assmann)

Vor diesem Hintergrund befragen wir die großen Kunstwerke zu den existenziellen und wesentlichen Fragen unserer Gegenwart, zur Bedingtheit unseres Menschseins. Max Reinhardt hat sinngemäß gesagt, dass die großen Klassiker wesentlich seien; und er hat sogleich hinzugefügt, man müsse sie spielen, als seien sie Stücke des Heute. Shakespeare war ein solches Genie des Welttheaters. Er hat seinen Zeitgenossen auf den Mund und ins Herz geschaut. Und was er dabei zu hören und zu sehen bekam – das Gute ebenso wie das Böse –, hat er in einzigartige Theaterliteratur verdichtet.
Shakespeare hält im Innersten auch das Opernprogramm der kommenden Festspielsaison zusammen. Er wusste alles über das Lachen – und er wusste alles über den möglichen Horror der Erkenntnis. Wir bringen sein düsterstes Werk, Macbeth, in der Verdi’schen Opernfassung auf die Bühne. Darin wird der unheilvolle Aufstieg eines Heerführers geschildert, der in Blut und Mord
und Wahnsinn endet. Daneben haben wir Falstaff gestellt, ein sogenanntes „Alterswerk“, das in unserer „Vermessung der Welt“ eine ähnlich bedeutende Rolle spielt. Falstaff, diese Verdi’sche Figur, aus Shakespeare geboren, steht für die Feier des Lebens und der Freiheit, die sich in Heiterkeit und Witz auflöst – nicht ohne melancholisches Augenzwinkern.
Ein ebensolches Genie des Welttheaters war Mozart, dessen Nozze di Figaro ein durch und durch politisches Werk ist. Es ist
das Aufklärungsstück par excellence. Darin jagt Mozart die ganze Welt spielerisch in die Luft – und kreiert eine Utopie der Humanität, abseits von gesellschaftlichen Hierarchien und Feudalsystemen. Wie Verdis Falstaff schillert auch Mozarts Commedia in hellen
und zugleich in dunklen Farben, durchmisst sie Schatten und Licht.
Hochaktuell ist die 1961 uraufgeführte Oper The Greek Passion von Bohuslav Martinů – ein Meisterwerk nach einem Roman von Nikos Kazantzakis, dessen historischen Kontext die Migrationswellen infolge des Griechisch-Türkischen Krieges Anfang der 1920er-Jahre bilden. Im Verlauf der Handlung offenbart sich das wahre Gesicht einer Welt, in der Habgier, Rachsucht, Hartherzigkeit und Empathielosigkeit herrschen. Martinůs tiefe Reflexion über das, was ist und nicht sein sollte, hält uns einen Spiegel vor Augen und Ohren.

Markus Hinterhäuser • Intendant

zuerst erschienen in der Festspielbeilage der Salzburger Nachrichten 2023

Videos

12. Januar 2023
Le Nozze di Figaro | Salzburger Festspiele 2023 – Trailer 1
20. Januar 2023
Falstaff | Salzburger Festspiele 2023 – Trailer 1
17. Februar 2023
Macbeth | Salzburger Festspiele 2023 – Trailer 1
26. Mai 2023
Orfeo ed Euridice | Salzburger Festspiele 2023 – Trailer 1
Le Nozze di Figaro | Salzburger Festspiele 2023 – Trailer 1
Falstaff | Salzburger Festspiele 2023 – Trailer 1
Macbeth | Salzburger Festspiele 2023 – Trailer 1
Orfeo ed Euridice | Salzburger Festspiele 2023 – Trailer 1