© SF/Ruth Walz
ZUR PRODUKTION

„Es trillert jede Faser des Herzens, und die heitere Luft erzittert im Triller …“

Was macht eine Oper zur komischen Oper? Möglicherweise der Umstand, dass sich alle Beteiligten ohne Unterlass verkleiden, um andere zu ärgern, sich zu rächen, den richtigen Heiratspartner zu erwischen oder an fremdes Geld heranzukommen? Auf Deutsch wird so etwas gerne „Verwechslungskomödie“ genannt, auf Englisch comedy of errors, was viel besser passt, vor allem bei William Shakespeare, dessen Stück The Merry Wives of Windsor als zentrale Inspiration für Giuseppe Verdis letzte Oper diente. Komödie der Irrtümer und Fehler — eine solche Gattungsbeschreibung trifft den Nerv der Falstaff-Handlung auf das Schmerzhafteste: Wenn sich Titelfigur, Opfer und Widersacher in Hinterzimmern und Vorgärten kostümieren, dann gähnt hinter dem Chaos der Verwechslungen ein tiefer Abgrund menschlicher Unzulänglichkeit. Alle Handlung geht auf sie zurück: zu dick, zu arm, zu verliebt, zu eifersüchtig, zu gutgläubig, zu kraftlos, zu ängstlich. Anders gesagt: Verdi führt in seinem Falstaff ein Panoptikum der Hilflosigkeit vor, einen handlungsreichen Stillstand von Körper und Geist, der in eines der außergewöhnlichsten Finale der Operngeschichte mündet.
Während Verdis grandiose Musik die Stimmbänder der im Gasthaus zum Hosenband versammelten Gesellschaft in wilde Schwingungen versetzt, bleiben die Gedankenbewegungen der meisten Anwesenden eigenartig zäh und vollführen höchstens bleischwere Kreisbewegungen in Zeitlupe. Es ist eine behäbige und rückständige Welt, in der Shakespeare und Verdi ihre jeweiligen Komödien entfesseln. Manchmal würde man sich wünschen, dass aus den Tiefen der Kulissen eine Stimme das Geschehen unterbräche, um weitere abstruse Verwicklungen zu verhindern. Aber so etwas gibt es nur an Filmsets, wenn nach dem Ausruf „Cut!“ Kameras neu ausgerichtet, Szenen umgeschrieben und neue Takes aufgenommen werden. Die Oper ist diesbezüglich unflexibel und dringt unerbittlich auf (mehr oder weniger geglückte) Erfüllung aller angelegten Intrigen, Versöhnungen und Wunschvorstellungen.
Wenn nun Christoph Marthaler und Anna Viebrock die überbordende Falstaff-Partitur inszenieren, dann handelt es sich hierbei um die Fortsetzung zweier längerer Geschichten: Zum einen zeigen Marthaler und Viebrock ihre siebte gemeinsame Inszenierung bei den Salzburger Festspielen, zum anderen führen sie mit Falstaff die künstlerische Auseinandersetzung mit Werken Verdis fort, die einst an der Frankfurter Oper begann (Luisa Miller) und an der Opéra Garnier in Paris (La traviata) sowie am Theater Basel (Lo stimolatore cardiaco) weiterverfolgt wurde. Es ist übrigens kein Geheimnis, dass Marthaler und Viebrock von einer Reise nach Italien einmal eine kleine Verdi-Büste aus Schokolade mitbrachten, die sich bis heute hervorragend gehalten hat. Nur ein paar wenige, äußerst sympathische Risse markieren den sogenannten Zahn der Zeit. Die Büste steht unter einer kleinen Glasglocke und harrt gelassen der Dinge. Wer sie jedoch herausnimmt und aus nächster Nähe betrachtet, erkennt, dass dieser Verdi lächelt. Es ist ein sehr dezentes Lächeln, fast so, als gingen ihm die letzten Zeilen seiner letzten Oper durch den Kopf:
.

Wir sind alles Genarrte! Ein jeder
macht sich über den andren lustig.
Doch am besten lacht,
wer zuletzt lacht.

Dass am Ende vielleicht doch noch ein anderer lachen könnte, nämlich derjenige, der sich trotz des erkennbaren Alters der Schokolade die Komponistenbüste schmecken lässt, gehört zur Ironie des Schicksals, für die sich Verdi zeit seines Lebens leidenschaftlich begeisterte. Es wäre ihm also vermutlich recht, wenn alles nochmal ganz anders käme als gedacht. Eigene Irrtümer inklusive.

Malte Ubenauf

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