„Wir brauchen in dieser Zeit mythologische Geschichten.“
Pressegespräch zur Produktion Hotel Metamorphosis


Vor 10 Tagen haben die Proben zur diesjährigen Opernproduktion der Salzburger Pfingstfestspiele begonnen. Am 6. Juni wird die Premiere des Opern-Pasticcios stattfinden. Wie es zur Entstehung des Stücks seit Beginn über dreijährigen Beschäftigung mit dem Projekt kam, möchte zu Beginn des Pressegesprächs Olaf A. Schmitt, mitverantwortlich für Konzept und Dramaturgie, von Regisseur Barrie Kosky wissen. Mehrere Jahre habe es gedauert, bis der lange gehegte Wunsch einer Zusammenarbeit zwischen der Künstlerischen Leiterin Cecilia Bartoli und ihm realisiert werden konnte, erzählt Kosky. Auf die Idee, etwas ganz Neues zu machen, sei man, als es schließlich soweit war, gemeinsam gekommen: „Als ich Cecilia den Vorschlag für ein Pasticcio des 21. Jahrhunderts machte, fingen ihre Augen sofort an zu leuchten. Mich selbst hat die Form des Pasticcio schon immer interessiert – die Idee, dass ein Komponist aus bereits existierendem musikalischen Material ein neues Werk kreiert. Eine Form, in der man – auch mit tänzerischen Elementen– etwas ganz Neues entstehen lassen kann“. Auf diese Weise sei die Idee entstanden, eine Geschichte mit Musik von Antonio Vivaldi zu kombinieren. Angeboten habe sich als literarische Vorlage Ovid, der nicht nur der Lieblingsautor Shakespeares gewesen sei, sondern gleichzeitig auch so etwas wie ein „Kochbuch der Renaissance“ geschaffen habe, von dessen über 250 mythologischen Geschichten nachfolgende Maler und Musiker maßgeblich inspiriert wurden. „Aus seinen Metamorphosen haben wir fünf Geschichten ausgewählt und diese mit
insgesamt über 40 Vivaldi-Stücken kombiniert“, erzählt Kosky weiter. „Erzählt wird der ganze Abend aus der Perspektive des Orpheus, dargestellt von der großartigen Angela Winkler. Die Ausgangspunkte stellen Träume des Orpheus dar“.

Wie viele Opern Vivaldi tatsächlich geschrieben habe, sei unklar, betonen sowohl Olaf A. Schmitt als auch Dirigent Gianluca Capuano, der hinzufügt: „Bis heute werden immer wieder werden neue Werke Vivaldis entdeckt, der Nachwelt blieb er – ähnlich wie Johann Sebastian Bach – nach seinem Tod zunächst primär als herausragender Instrumentalist anstatt als Komponist im Gedächtnis. Zu seinen Lebzeiten kannte man hauptsächlich die veröffentlichten Instrumentalwerke, die Opern und geistlichen Kompositionen hingegen wurden nach seinem Tod fast ganz vergessen“. Erst 1926 habe die Forschung eine Sammlung von Autographen Vivaldis entdeckt, die auch sein Schaffen als Opernkomponist zugänglich gemacht hätten. „Einen entscheidenden Wendepunkt hat aber auch Cecilia Bartoli markiert, die mit ihrem 1999 veröffentlichten Album geradezu eine Vivaldi-Renaissance eingeleitet hat. Das hat ein ganz neues Licht auf sein Schaffen geworfen“.
Auf die Frage Olaf A. Schmitts, wie es zur Auswahl der Interpretinnen des aktuellen Projekts kam, antwortet Kosky: „Vivaldis Opern fehlt – im Gegensatz etwa zu Georg Friedrich Händel – mitunter ein wenig der große dramaturgische Bogen. Der Vorteil unserer Form des Pasticcio ist, dass wir eine Auswahl musikalischer Höhepunkte direkt aneinanderreihen können. Darunter sind Stücke, die beispielsweise eben Cecilia Bartoli, Lea Desandre und Philippe Jaroussky aufgenommen haben.“ Vor diesem Hintergrund wurden dann, auch im Hinblick auf die junge Künstlergeneration, die Stimmlagen ausgewählt und besetzt. Auch viele Tanz und Chor-Elemente seien dabei, im Ganzen entstehe so ein großes, über dreistündiges Musiktheater. Wichtig seien ihm dabei die emotionalen Zustände gewesen, die dem Publikum über die Figur des Orpheus nähergebracht werden. „Wir verwenden dafür eine wunderbare neue deutsche Ovid-Übersetzung, die durch eine große Klarheit besticht“, erklärt Kosky zum Konzept weiter. „Die Geschichte von Orpheus und Eurydike, die aus Eurydikes Perspektive erzählt wird. Wir verwenden außerdem die Pygmalion-Episode, dem es Venus ermöglicht, mit seiner von ihm erschaffenen Figur zu sprechen. Außerdem die Geschichten von Arachne, von Myrrha sowie von Echo und Narzissus – allesamt Geschichten über Transformation. Ovid erzählt viel von der Wandlung der Geschlechter. Wir brauchen in dieser Zeit mythologische Geschichten: Sie erzählen uns von den Geheimnissen des Lebens. Es ist, als stünde die Zeit still, und Vivaldis Musik versetzt uns in eine mythologische Traumwelt“.

Angesprochen auf den Abwechslungsreichtum und die Vielfarbigkeit der Musik, sagt Capuano: „Wir entdecken jeden Tag etwas Neues. Das Publikum wird sich an manchen Stellen fragen, ob es gerade tatsächlich Vivaldi hört“. Dazu gehöre auch die Verwendung spezifischer Instrumente wie der Schalmei, so Kosky.
Seine Idee sei immer gewesen, dass der erzählende Orpheus von einer Frau gespielt wird, sagt Kosky weiter. Mit Angela Winkler habe er dafür die ideale Besetzung gefunden, die in der Lage sei, der Figur die nötige melancholische Tiefe zu verleihen.
Der Titel des Stücks leite sich ab von der grundsätzlichen Unterscheidung zweier Welten, einer realistischen in Gestalt der Menschen und einer surrealistischen Traumwelt. Als Symbol für die wiederkehrenden musikalischen Zustände von Melancholie und Einsamkeit fungiere die sterile, anonyme Atmosphäre eines Hotelzimmers, die dann mit den emotionalen Zuständen einer Traumwelt gefüllt werde. Formal gebe es Passagen, in denen Text und Musik durch Pausen getrennt seien, andere, in denen die Texte mit Musik unterlegt würden. Die den Vivaldi-Opern entnommenen Arien und ihre Texte seien passend zur betreffenden Situation des Pasticcios ausgewählt, die fünf Geschichten seien jeweils in sich geschlossene Episoden. Auf diese Weise entstünde innerhalb des ca. 6-wöchigen Probenprozesses eine neue, beständigen Wandlungen unterzogene Partitur.