21 Jul 2022

Über die Sehnsucht nach Liebe hinausgehen

Regisseur Barrie Kosky inszeniert Leoš Janáčeks Katja Kabanowa.

Viel Ergreifendes, Weiches, Gefühlstiefe“ sei in dem Stück: So soll sich Leoš Janáček einst geäußert haben, als er seine Arbeit an der Oper „Katja Kabanowa“ begann und dafür Alexander Ostrowskis Schauspiel „Das Gewitter“ zum Vorbild wählte. Es ist eine Art innerliches Gewitter, wie es in der Titelheldin tobt, das Janáček musikalisch verarbeitete.

Denn das Meisterwerk des mährischen Komponisten dreht sich um Katja, die zwar mit Tichon verheiratet ist, aber unter der Dominanz seiner Mutter leidet – und unter der Passivität des Ehemanns. Dass sie ein Verhältnis mit dem Kaufmannsneffen Boris beginnt, scheint nur vorübergehend eine Hilfe, fällt es ihr doch schwer, gegen Konventionen zu verstoßen. Und durch den Seitensprung brechen neue Bedürfnisse hervor, die über die Sehnsucht nach erfüllter Liebe weit hinausgehen.

Es ist just diese Widersprüchlichkeit, die Barrie Kosky, der bei den Salzburger Festspielen nun Janáčeks Oper inszeniert, interessiert. Er spricht gar von einem „Gefühlsvulkan“, wenn er von Katja redet. Zwar wisse man, so der Regisseur, dass Katja eine spezielle „Energie besitzt, die von ihrer Familie und dem Dorf unterdrückt wird“. Doch auch wenn sie „von Traumata gebeutelt wird, wissen wir nicht, wo diese Traumata herkommen“.

Für ihn als Regisseur steht die Enge des Dorfes in dem beklemmenden Porträt einer jungen Frau, die gegen ihre Lebensumstände aufbegehrt, im Vordergrund. Gleichzeitig möchte er diese nicht durch Mittel des Bühnenbilds in die Felsenreitschule bringen, wie er vorab verrät: „Das Gefühl von Eingesperrtsein wird nicht allein von Mauern oder von einem kleinen Raum verursacht. Jedes Wort, jede Bewegung muss dazu beitragen.“ Im Bühnenbild von Rufus Didwiszus gebe es daher „keine Mauern, keine Türen, keine Tische, keine Stühle. Die Inszenierung und die Choreografie werden die Beengtheit in einer Weise sichtbar machen, die abstrakter und rätselhafter ist“, beschreibt Kosky weiter. „Ich habe in meinem Leben schon so viele mit Requisiten vollgestopfte Janáček-Inszenierungen gesehen. Ich beschränke mich im Wesentlichen auf Körper, Gesang, Text, Klang – und Licht. Das muss atemberaubend klar und intensiv sein. Die Musik sagt alles, ich möchte das nicht doppeln.“

Starke Gefühle für die Oper. Voll Vertrauen in die besonders sprechende Wirkung von Janáčeks Schöpfung geht auch der musikalische Leiter Jakub Hrůša in das Projekt hinein. Er bezeichnet die Oper im nebenstehenden Interview als „vielleicht die, die unter den kompositorischen ‚Kindern‘ des mährischen Meisters am besten mit dem Publikum kommuniziert“. Dass er sein Debüt bei den Salzburger Festspielen just mit diesem Werk, eine jener Opern, „die ich am liebsten mag“, gibt, freut ihn besonders, verrät er weiter. Hrůša hatte 2015 sein Debüt auch an der Wiener Staatsoper mit einer Janáček-Oper, damals „Die Sache Makropulos“. Aktuell ist er Chefdirigent der Bamberger Symphoniker und als Gastdirigent etwa in London, wo er zuletzt musikalischer Leiter von „Lohengrin“ war, und beim Orchestra dell‘ Academia nazionale di Santa Cecilia gerne gesehen. In London war es auch, wo er schon einmal mit Barrie Kosky zusammenarbeitete, den er für einen Theaterenthusiasten hält.

Kosky, der seit 2012 Intendant und Chefregisseur der Komischen Oper Berlin ist und an Häusern wie der Oper Frankfurt, der Bayerischen Staatsoper, der Pariser Oper, dem Teatro Real Madrid und dem Opernhaus Zürich Regie führte, hat 2019 zuletzt in Salzburg inszeniert und damals „Orphée aux enfers“ von Jacques Offenbach herausgebracht. Nun möchte er dezidiert „das Gegenteil von Orpheus machen“, wie er sagt. Dass gerade „Katja Kabanowa“ an ihn herangetragen wurde, freue ihn, war diese doch „einst die erste Janáček-Oper, die ich meiner Heimat als 15-Jähriger gesehen habe. Die Musik begeisterte mich damals sofort – und für mich gehört die Protagonistin zu den faszinierendsten Frauenrollen aller Zeiten.“ In dieser wird Corinne Winters zu sehen sein, die zuletzt als Jenufa an der Genfer Oper besetzt war und die Katja auch im Jänner in Rom sang. David Butt Philip ist als Boris, Evelyn Herlitzius als Schwiegermutter Kabanicha und Jaroslav Březina als Tichon besetzt.

von Theresa Steininger
Zuerst erschienen am 25.07.2022 in Die Presse Kultur Spezial: Salzburger Festspiele

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