24 Mrz 2019

Tobias Moretti im Interview

Tobias Moretti

"Jede Art von Routine ist der Tod"

Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung „Die Presse“ Jubiläumsausgabe (ET 24. März 2019), die mit Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler und Intendant Markus Hinterhäuser als Gastchefredakteuren entstand.

Schauspieler Tobias Moretti über die Sorge, den Sinn aus den Augen zu verlieren, Wahnsinn in der Wüste und warum er die beste Rolle noch nicht gespielt hat.

Rund um eine Vorstellung spielen sich viele Rituale ab, der Vorhang, der Applaus … Wie leben Sie mit Ritualen?

Tobias Moretti: Natürlich brauchen wir sie. Ein Ritual ist etwas immer Wiederkehrendes, das sich aber irgendwann vielleicht verselbstständigt hat. Aber Kunst ist eigentlich das Gegenteil, etwas sich immer wieder neu Erschaffendes. Trotzdem gibt es Rituale, die jeder macht und kennt. Der müde Blick beim Zähneputzen in die eigene Ratlosigkeit. Dann gibt es Gewohnheitsrituale, die, wenn man sie nicht macht, einen durcheinanderbringen, – der Fußballer, der sich bekreuzigt oder der Schauspieler, der sich an die Nase fasst, oder Valentino Rossi, der neben seinem Motorrad kurz meditiert, bevor er aufsteigt. Die religiösen Rituale wären ein Kapitel für sich. Aber eigentlich wollten wir doch über Mythologie reden und über Schein oder Sein.

Mittels Ritualen kann aber auch etwas Abstraktes erfahrbar werden.

Das mag ja sein, wenn man seinen Sinn nicht aus den Augen verliert, aber trotzdem ist ein Ritual noch keine Erkenntnis. Eine Niederung wäre, wenn das Ritual wichtiger ist als sein Ursprung.

Ist es nicht oft so?

Nein, so ist es nicht. Dann wäre es ein Packerl ohne Inhalt, unser Dasein. Wenn der Mensch oder eine Gesellschaft nicht mehr nach dem Sein trachtet, also dem ursprünglichen Sinn, wie es eben die Mythologie tut oder die Philosophie, dann haben wir irgendetwas verpasst. Natürlich haben wir es gegenwärtig mit einer Ausfransung von Mythologie zu tun oder ihrem Missbrauch durch Ideologisierung, oder sie wird zum reinen Zitat, so wie die neuen Medien oft etwas Triviales pseudomythologisch überhöhen. Der Mensch verirrt sich halt immer wieder in dem, was der Schein ihm bietet.

Was könnte ein neuer Mythos sein?

Rein materialistisch gedacht, etwas zu hypen. Eine Sache, die eigentlich ein Nichts ist, aber gekauft werden soll, wird mythologisiert, stilisiert, und damit überhöht man sein eigenes kleines Ego. Damit funktioniert’s.

Auch von Ihnen werden Dinge mit Bedeutung aufgeladen, etwa Fahrzeuge.

Natürlich, ich bin ja auch nicht immun dagegen, im Gegenteil. Das Fahrzeug war für den Menschen immer eine Urvorstellung, ein Urwunsch, dass man sich schneller bewegt, als man es eigentlich kann. Die Mythologie ist voll von solchen Gestalten, Phaeton, Ikarus und so weiter.

Ihr Bruder und Sie sind mit dem Motorrad 7500 Kilometer durch die Wüste gefahren. War das auch eine Art Ritual, zwei Brüder trotzen der Einsamkeit der Wüste?

Das war auch das Gegenteil von Ritual, keine Gewohnheit! Ich mach‘ auch keine daraus. Das war ein unglaubliches Abenteuer im Kopf, ein Rausch und die Vorstellung oder der Drang, etwas eigentlich Unmögliches überstehen zu können, Grenzgänge zu machen, zu wagen – diese Lust, auf eine Fahrt ins Unbekannte zu gehen. Ein anderer mythischer Archetypus, Odysseus, wollte eigentlich auch in drei Wochen wieder bei seiner Penelope liegen. Deppert gelaufen. In unserem Fall war es aber auch etwas, das sich in der anfänglichen Naivität dann als ein bissl pubertärer Wahnsinn herausgestellt hat.

Der Wahnsinn wurde erst nachher klar?

Man kann nicht als erwachsener Mensch Spitzensport machen, ohne Spitzensportler zu sein. Alle zehn Sekunden kann man da hops gehen, wenn man’s nicht beherrscht oder die Nerven verliert. Wir haben uns ein Jahr darauf vorbereitet, und wir haben es bestanden, das war ein archaischer Akt, aber auch eine archaische Erfahrung. Und die war nicht immer lustig. Im Nachhinein ist man natürlich stark gewesen und sagt, unglaubliche Leistung, aber es war oft knapp. Wir hatten auch einfach Glück. Ich hab immer schon eine große Affinität zum Rennsport gehabt, das ist wie eine Form von Fliegen und Disziplinierung in einem. Manchmal ist das bei einem Auftritt im Theater nicht unähnlich.

Gewinnt man da nicht an Routine?

Jede Art von Routine ist der Tod. Ob auf der Bühne oder im Leben oder in der Straßenbahn oder in der Liebe – und diesen blöden Satz „Du bist ja ein Profi“, der Routine zur Qualität macht, den hasse ich sowieso. Außerdem ist „sich nicht mehr verletzbar machen“ auch keine Garantie des Überlebens.

Dass die Verletzbarkeit auch ein Motor sein kann, war das eine Erkenntnis in der Wüste?

In der Wüste gab es noch gar keine Erkenntnis, da war nur der Kampf des Überlebensschwimmers. Viele Eindrücke haben sich blitzartig eingeprägt, durchaus auch poetische. Im Moment hat gar nichts gegolten. Ich habe mir nur immer gedacht, ich möchte das noch einmal erleben, in Ruhe.

Wenn etwas vorbei ist, was überwiegt, die Freude, dass es war, oder das Bedauern, dass es vorüber ist?

Hmmm … das wär’s eigentlich, dass man sich etwas vergegenwärtigen kann in der Freude darüber,
dass es war.

Aber es ist schwierig.

Es ist eine der beglückenden Erfahrungen beim Älterwerden, dass ich mit mehr innerem Gleichmut zurückschaue. Verstehen kann man das Leben rückwärts, leben muss man’s direttissima nach vorn. Die Einschläge kommen sowieso immer näher, es schwefelt schon. Man erlebt, wie die Helden der Jugend gehen, in meinem Bereich etwa Hans-Michael Rehberg, Gert Voss, der wunderbare Ignaz Kirchner, und jetzt Bruno Ganz … Es ist so traurig, sie waren gerade noch da.

Fragen Sie sich manchmal, ob Sie Ihre beste Rolle schon gespielt haben?

Das frag ich mich noch nicht, zum Glück. Die besten Rollen hat man, so denkt man, noch nicht gespielt. Die besten Rollen haben auch nichts mit Größe zu tun oder mit Umfang, da treibt mich was anderes, meine Neugier, meine Risikobereitschaft, meine Lust an der Kante. Das hängt auch damit zusammen, dass ich das Glück habe, in meinem Leben einen großen Halt haben zu dürfen in den Menschen, die nah um mich sind. Deshalb traue ich mich. Manchmal sieht man so schrullige Typen, die man schon ewig kennt, wenn man sich die in ein paar Jahren vorstellt, das hat auch was Armseliges, – wenn du alt bist, ist das dann nicht mehr pittoresk. Da bin ich dankbar, dass ich so viel normales Leben um mich herum hab.

Wie dramatisch haben Sie Ihren krankheitsbedingten Ausfall beim „Jedermann“ im vergangenen Jahr empfunden?

Das war gar nicht dramatisch. Es waren ja nur zehn Tage, es war eine Lungenentzündung. Danach habe ich auch wieder gespielt. Dramatisch war für mich, dass die Regeneration so lang gedauert hat, ich war wie ausgehebelt zwei, drei Monate, damit habe ich nicht gerechnet. Im besten Fall bewirkt’s was – sagt man so.

Was hat es denn für Sie bewirkt?

Die triviale Erkenntnis, dass man keine Maschine ist.

Sie haben einmal angemerkt, dass Menschen immer einen Schuldigen brauchen.

Sie meinen diese Kuh-Geschichte (das Urteil um eine Kuh-Attacke, Anm.), aber darüber wollen wir jetzt nicht reden. Denn das haben die meisten Leute eh verstanden, dass Lösungen woanders zu suchen sind als in der Enge der eigenen Perspektive. Da sind die Juristen ähnlich wie die Wirtschaftler oder Technologen, die in ihrer überbordenden Fachintelligenz jeden Überblick verlieren. Ausnahmen sind natürlich Bauern und Schauspieler…

Wohin gehen wir mit dieser Entwicklung?

Das weiß ich auch nicht. Aber das Allerwichtigste ist, dass, wenn wir schon keine Lösung haben, uns nicht der Fatalismus überrennt und in eine Sackgasse führt. Diese Gefahr besteht sowohl für den einfachen als auch für den intellektuellen Menschen. Wir waren vor dreißig, vierzig Jahren auch nicht klüger, aber breiter aufgestellt, näher an uns Menschen dran. Ich würde mir halt wünschen, dass wir die Schablonen der reinen Nutzenorientierung, der Systemenge und -immanenz zerbrechen und wieder andere Lebens- und Bildungswerte uns selber als Option geben.

Die Zuspitzung zwischen Gut und Böse, wo endet das? In einer Explosion?

Mir kommt vor, wir haben auf der einen Seite dieses schwarz-weiße Schema von Gut und Böse und auf der anderen Seite so eine Unverbindlichkeit, bei der überhaupt keine Wertungen mehr gemacht werden. Es gibt kein Dazwischen. Im schlechtesten Fall könnte das auch das Ende der Demokratie bedeuten. Die Demokratie hat auch mit so was wie einem humanistischen oder bürgerlichen Mittelwert zu tun, und wenn es den nicht gibt, ist alles ausgehebelt. Ohne diesen Mittelwert gibt es nicht einmal mehr Anarchie, denn gegen was will man da opponieren?

Wo sehen Sie die Demokratie denn konkret bedroht?

Naja, zum Beispiel in der Wahllosigkeit der neuen Medien. Alles ist gleich wert oder gleich wichtig, alles darf gesagt und gezeigt werden, sie bieten auch ein Forum für kriminelle Energien in demokratischem Mantel. Und jedes Regulativ wird als ein Zensurversuch gewertet, eine Gesellschaft liefert sich einfach aus. Dabei führt Wahllosigkeit nicht zu mehr Wahlfreiheit, im Gegenteil, es höhlt sie aus.

Das klingt jetzt aber auch ein bisschen fatalistisch.

Ich bin kein Fatalist, ich habe immer Hoffnung.

Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung „Die Presse“ Jubiläumsausgabe (ET 24. März 2019), die mit Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler und Intendant Markus Hinterhäuser als Gastchefredakteuren entstand.

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