À Pierre

Der französische Komponist und Dirigent wurde 1925 geboren und war eine der wichtigsten Stimmen der musikalischen Avantgarde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Zum 100. Geburtstag von Pierre Boulez.

Pierre Boulez, Foto: Marion Kalter

Als Pierre Boulez Anfang 2016 starb, ging das musikalische 20. Jahrhundert erst wirklich zu Ende: Der Franzose war dessen vermutlich bedeutendste, einflussreichste Gestalt gewesen – in den Rollen eines Vorkämpfers, Initiators und Organisators wohl noch mehr als in jenen des Komponisten und Dirigenten. In seiner Alterskarriere konnte man Boulez auch bei den Salzburger Festspielen von 1992 bis 2011 immer wieder erleben – als einen klugen, erfahrenen und sorgfältigen Sachwalter eigener und fremder Partituren. Da war im Grunde längst vergessen, dass er als Enfant terrible begonnen hatte: als brillanter Kopf mit spitzer Zunge und als ein unbedingter, unerbittlicher Anwalt des Neuen.

In seiner Musik strebte Pierre Boulez stets danach, Sinn und Sinnlichkeit zusammenzubringen – mit faszinierenden Ergebnissen, die auch 100 Jahre nach der Geburt des Komponisten weder an einschüchternden spieltechnischen Herausforderungen noch an betörender, schillernder Ausdruckskraft eingebüßt haben. Als Perfektionist feilte er freilich immer weiter an seinen Stücken, bis er mit dem Ergebnis zufrieden sein konnte, oder er beleuchtete ein und dasselbe musikalische Material in verschiedenen Werken.

„À Pierre“ ist die Konzertreihe betitelt, die die Salzburger Festspiele diesem Großen widmen und für die sie herausragende Kräfte aufbieten – darunter Le Balcon unter Maxime Pascal (19.8.) und Sylvain Cambreling mit dem erweiterten Klangforum Wien (23.8.). Ihr intim klingendes Motto entlehnt sie von einem Stück aus der Feder Luigi Nonos, eines alten Freundes und Weg­gefährten sowie zugleich Diskussions- und Streit­partners von Boulez: A Pierre. Dell’azzurro silenzio, inquietum – 60 Takte zu dessen 60. Geburtstag 1985, ganz bewusst als Verwirrspiel angelegt, bei dem sich selbst alte Hasen der Neuen Musik immer wieder in die Irre führen lassen müssen. Alles Gespielte kehrt in zwei live-elektronischen Schleifen von 12 und 24 Sekunden Verzögerung im Raumklang wieder, bis das Ohr die Schichten nicht mehr unterscheiden kann. Auch Karlheinz Stockhausen, Boulez’ anderer Avantgarde-Kamerad, hat ihm mit seinem Klavierstück XIV ein Geburtstagspräsent zum Sechziger gemacht. Uraufgeführt hat es seinerzeit Pierre-Laurent Aimard, der nun an einem denkwürdigen Doppelabend Boulez aus der französischen Tradition von Claude Debussy und Maurice Ravel ebenso herleitet wie vom direkten Lehrer Olivier Messiaen – und spätabends auch noch von Johann Sebastian Bach (22.8.). Klarinettist Jörg Widmann tritt in den Dialogue de l’ombre double ein, Pianistin Tamara Stefanovich interpretiert die kapitale Klaviersonate Nr. 2 und bringt sie mit ihrem Duopartner Nenad Lečić in Kontext mit Claude Debussy und Igor Strawinsky (20.8.). Eine würdige Hommage an einen großen, unermüdlichen Künstler: „Für Pierre. Aus blauer Stille, ruhelos“.

Walter Weidringer
zuerst erschienen in der Festspielbeilage der Salzburger Nachrichten

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11. Dezember 2024
À Pierre | Salzburger Festspiele 2025