Wir werden mit dem Kinderhaben alleingelassen
„Du machst es aus Liebe und Liebe ist immer gratis.“
„Frauen sind schuld. An allem. Das ist ein Grundpfeiler des Patriarchats“, sagt Mareike Fallwickl. Ihr Roman „Die Wut, die bleibt“ rüttelt auf. Die Theaterfassung ist diesen Sommer im Landestheater zu sehen.
Ihr Roman „Die Wut, die bleibt“ ist von echten Aussagen überforderter Mütter während des Lockdowns inspiriert. Was haben diese Aussagen mit Ihnen gemacht?
Ich wollte eigentlich etwas Nettes schreiben, das war sogar schon fertig. Aber dann hab ich im Lockdown viele Nachrichten von Frauen, von Müttern bekommen, die geschrieben haben: „Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr, ich spring jetzt einfach vom Balkon.“ Und dieser hypothetische Satz hat mich so elektrisiert, dass ich mitten im Home-Schooling-Halligalli meinen Laptop am Küchentisch herangezogen und die erste Seite geschrieben habe, wie sie jetzt im Roman steht. Dann war sofort klar: Diese Idee ist viel besser als das gesamte nette Buch, das ich geschrieben hatte.
Sie haben zwei Kinder. Wie ist es Ihnen in dieser Zeit ergangen?
Im Lockdown ist es wohl niemandem gut ergangen, es war eine sehr herausfordernde Zeit. Aber ich war nicht allein, mein Mann und ich teilen uns alles, was Sorgearbeit betrifft, 50:50 auf.
Nicht nur während der Pandemie übernahmen Mütter einen wesentlich größeren Anteil der Kinderbetreuung und Haushaltsarbeit als Väter. Sie tun es immer. Oft ist es keine bewusste Entscheidung, es passiert einfach. Warum tappen Frauen in diese Falle?
Es liegt nicht an den Frauen. Wir formulieren es so, als wären die Frauen schuld. Als hätten sie sehen müssen, dass da eine Falle ist. Und es „passiert nicht einfach“. Tatsache ist, dass der Gender Pay Gap so lange wegignoriert wird, bis ein Paar ein Kind bekommt, dann heißt es auf einmal: Natürlich gehe ich als Mann arbeiten und meine Frau bleibt zu Hause, ich verdiene ja viel mehr. Männer nehmen keine Karriereeinbußen in Kauf, für Frauen ist das normal. Der Arbeitsmarkt bietet keine flexiblen Modelle, weil er bisher nicht muss, aber da werden mit den nächsten Generationen Forderungen nach gerechterer Elternzeit und Papakarenz kommen, das zeichnet sich klar ab. Zudem gibt die Gesellschaft vor, dass Kinderbetreuung Frauensache ist, und es ist schwer, sich von diesen Prägungen zu lösen und gegenteilig zu handeln.
Warum sprechen wir dann so wenig darüber, wie fordernd und anstrengend es sein kann, Mutter zu sein?
Franziska Schutzbach hat in „Die Erschöpfung der Frauen“ den großartigen Satz geschrieben: Elternschaft ist radikale Pausenlosigkeit. Ihre Frage lässt sich nicht beantworten, ohne einen Schritt zurück zu machen und auf das Gesamtbild zu schauen. Nicht Mutterschaft ist das Problem, nicht Elternschaft, schon gar nicht die Kinder. Dass einer sich kümmert um einen anderen, ist die wohl menschlichste Geste, zu der wir fähig sind. Aber wir scheitern am System. Wir werden mit dem Kinderhaben alleingelassen, und das ist nicht zu schaffen. Sämtliche Schwierigkeiten werden individualisiert und als etwas hingestellt, das jede Familie im Privaten lösen muss, damit wir nicht erkennen, dass es politische Lösungen braucht, dass das gesamtgesellschaftliche Herausforderungen sind. Wir breiten Tabus über Mutterschaft und erzwingen dieses Schweigen. Denn würden Eltern, würden Mütter ehrlich miteinander sprechen, käme die Wahrheit ans Licht. Und dann wäre die Politik zu massiven Änderungen gezwungen.
Fehlt es Frauen an Wut? Wo ist sie?
Wir haben aktuell – das war nicht immer so und kann auch nicht so bleiben – Weiblichkeit und Sorgearbeit derart eng miteinander verknüpft, dass wir es nicht einmal schaffen, darüber hinauszudenken. Dass Frauen Zugang zu Beruf und Bildung bekommen haben, aber alle anderen Aufgaben gleich geblieben sind, führt zu Doppelt und Dreifachbelastung. Dass die Hälfte der Bevölkerung das mit sich machen lässt, beruht auf einem simplen, schlauen Trick. Wir reden ihnen ein: Du musst es gern tun. Es liegt in deiner Natur! Es ist deine Bestimmung. Du machst es aus Liebe, und Liebe ist immer gratis.
Es anders zu machen als die Generationen zuvor, dazu gehört Courage. Eltern, die sich die Fürsorgearbeit teilen, können mit beißenden Kommentaren fix rechnen. Das hält nicht jeder aus.
Ja, natürlich. In Österreich machen es nur vier Prozent der Väter so wie mein Mann. VIER. Ich werde oft gefragt, welcher feministische Ansatz hinter unserer Entscheidung stand. Gar keiner – vor 13 Jahren hatte ich das Wort Care-Arbeit noch nie gehört. Wir haben uns hingesetzt und gesagt: Okay, wir kriegen gemeinsam ein Baby, wie teilen wir alles am besten auf? Das war’s. Wenn bissige Kommentare kommen, kann ich gut darauf reagieren, weil ich inzwischen sämtliche Zahlen, Studien, Statistiken zum Thema kenne. Für die Frauen, die auf Abwehr gehen, habe ich Verständnis: Es ist hart, wenn du alles aufgibst, dein Mann weiter Karriere macht, du dir selbst sagst, dass du dieses Opfer eben bringen musst, weil du Kinder wolltest. Und dann siehst du Mütter wie mich, bei denen es anders läuft. Es ist schwer, auf das eigene Leben zu schauen und zu erkennen, dass alles anders sein könnte.
Wir müssen unsere Töchter zu selbstbestimmten Frauen erziehen, heißt es oft. Darüber, wie Buben zu erziehen sind, wird wenig gesprochen. Warum?
Weil das ein Grundpfeiler des Patriarchats ist. Die Frauen sind schuld. An allem. Sie sind sogar selbst schuld daran, dass sie benachteiligt und diskriminiert werden. Wenn sie schlechter bezahlt werden, haben sie eben einfach nicht so gut verhandelt. Wenn sie vergewaltigt werden, hatten sie einen zu kurzen Rock an. Wenn ihre Kinder aus der Reihe fallen, haben sie als Mütter versagt. Diese Liste ließe sich über tausend Seiten weiterführen. Das gezielte und effiziente Framing nimmt den Tätern die Verantwortung ab und hängt sie den Frauen um. Und zwar von Anfang an, wenn sie noch Mädchen und Jungs sind.
Woran denken Sie?
Beispielsweise werden ruhige Mädchen gern neben Störenfriede gesetzt, es liegt dann in ihrer Verantwortung, dass die Jungs sich besser benehmen. Ist ein Bub grob zu einem Mädchen, kriegt es zu hören: „Das tut der, weil er dich mag.“ Und wenn diese Mädchen erwachsene Frauen sind, wundern wir uns, dass sie sich so viel gefallen lassen, dass sie nicht selbstbestimmt sind, dass sie die Schuld oft bei sich suchen. Aber wer hat es ihnen denn beigebracht?
Nun kommt Ihr Roman auf die Bühne. Haben Sie an der Bühnenfassung mitgewirkt und sind Sie im Austausch mit Regisseurin Jorinde Dröse?
Jorinde und ich sind in engem Austausch. Ich habe die von ihr erstellte Theaterfassung gelesen und war bei der Bauprobe dabei. Wenn im Juni die Proben beginnen, werde ich nach Hannover fahren. Das Stück wird richtig, richtig gut. Es ist Jorinde hervorragend gelungen, die 370 Romanseiten auf die Kernbotschaft einzudampfen und all die Wucht der Geschichte zu erhalten. Ich bin mir sicher, das wird niemanden kalt lassen.
Wird Ihre ganze Familie die Premiere besuchen?
Ja, mein Mann und meine Kinder kommen mit. Sie lieben das Theater und sind wahnsinnig gespannt. Gerade haben wir uns „Die unendliche Geschichte“ angeschaut, in der Fassung von John von Düffel, was einen schönen Kreis spannt, weil es das Buch war, das mich zum Schreiben gebracht hat, als ich ein Kind war – und ich habe es meinen Kindern vorgelesen, im Lockdown.
Interview: Judith Hecht
Zuerst erschienen am 20.05.2023 in Die Presse Kultur Spezial: Salzburger Festspiele 2023