24 Nov 2022

Neue Schauspielleitung der Salzburger Festspiele ab 2024

Marina Davydova wird Leiterin des Schauspiels der Salzburger Festspiele ab 2024

Der Vertrag der gebürtigen Russin beginnt am 1. Oktober 2023 und ist auf drei Jahre bis 30. September 2026 abgeschlossen.

Markus Hinterhäuser, Intendant der Salzburger Festspiele:
„Marina Davydova hat sich als künstlerische Leiterin des NET Festivals (New European Theatre) und als Leiterin des Schauspiels der Wiener Festwochen sowie als Autorin und Regisseurin hohe Reputation erworben. Der Schwerpunkt des Schauspiels der Salzburger Festspiele wird weiter auf deutschsprachigem Repertoire liegen, gleichwohl soll unter ihrer Leitung mit einer verstärkt internationalen Ausrichtung unserem hohen Besucheranteil aus insgesamt 76 Ländern Rechnung getragen werden. Ich bin überzeugt, dass Marina Davydova mit ihren herausragenden fachlichen und menschlichen Qualitäten dem Schauspiel der Salzburger Festspiele starke neue Impulse verleihen wird.“

Marina Davydova, designierte Leitung Schauspiel der Salzburger Festspiele:
„Was Künstlerinnen und Künstler im Krieg tun sollen, und was der Zweck der Kunst in Kriegszeiten ist – diese zwei Fragen sind mir seit Februar 2022 sehr häufig gestellt worden. Für mich sind dies jedoch zwei fundamental unterschiedliche Aspekte:
Künstler können in Zeiten politischer und sozialer Katastrophen ihre Ressourcen als Person des öffentlichen Lebens nutzen, zur Meinungsbildung beizutragen. Ich ziehe es vor, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.
Kunst sollte jedoch nicht in Geiselhaft für gegenwärtige politischer Umstände, Schwankungen in der öffentlichen Meinung oder aktueller Trends genommen werden. Sinn und Zweck der Kunst bleiben meiner Ansicht nach unveränderlich: das Leben in all seinen ontologischen, existenziellen und sozialen Aspekten zu ergründen. Als Leiterin des Schauspiels der Salzburger Festspiele wird mein Interessensschwerpunkt in erster Linie auf der Suche nach der Tiefe und Überzeugungskraft des Theaters und der Theaterarbeit liegen.“

Marina Davydova (geb. 1966 in Baku) ist Theatermacherin, Journalistin, Dramatikerin und Produzentin.

Wissenschaftlerin:
Ihr Studium der Theatergeschichte und -kritik schloss sie 1988 „cum laude“ an der Russischen Theaterakademie (GITIS/RATI) in Moskau ab, verteidigte anschließend ihre Doktorarbeit über Die theatralische Natur der englischen Tragödie nach der Renaissance und arbeitete als Wissenschaftlerin am Institut für Darstellende Kunst. Davydova lehrte an verschiedenen Hochschulen zur Geschichte des westeuropäischen Theaters und gab Kurse für Theaterkritik an der Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität.

Autorin:
Marina Davydova schrieb die Monographien The End of the Theatre Epoch / Das Ende der Epoche des Theaters (2005) und Culture ZERO / Kultur NULL (2017), in denen sie die Geschichte des russischen Theaters der vergangenen zwanzig Jahre analysiert. Sie ist ferner die Herausgeberin und Mitautorin des Buches The History of Western European Theatre from the Renaissance until the End of the 19th Century / Die Geschichte des westeuropäischen Theaters von der Renaissance bis zum Ende des 19. Jahrhunderts.

Theaterkritikerin:
Viele Jahre lang war sie die Theaterkritikerin von „Iswestja“, einer der ältesten russischen Zeitungen.
Bis März 2022 war sie zudem Chefredakteurin der Zeitschrift „TEATR“ und hatte eine Kolumne auf der Onlineplattform Colta.ru. Marina Davydova arbeitet mit dem deutschen Magazin „Theater heute“ zusammen, in dem sie regelmäßig Beiträge veröffentlicht.

Auszeichnungen:
Sie erhielt zahlreiche Preise für ihre Theaterrezensionen, u.a. 2007 den Preis des Russischen Journalistenverbandes als beste Theaterkritikerin. 2005 wurde ihr der Stanislawski-Preis für die beste Buchpublikation zuerkannt.

Festivalgründerin/Theatermacherin:
Sie gehört außerdem zu den Initiatoren des 1998 gegründeten Festivals NET (New European Theatre) in Moskau, dessen künstlerische Leitung sie 23 Jahre lang bis März 2022 innehatte. Das jährlich im Herbst stattfindende internationale Festival brachte die angesagtesten Theaterkompanien aus Europa zusammen und stellte dem Moskauer Theaterpublikum zeitgenössisches europäisches und innovatives russisches Theater vor.

2016 konnte Markus Hinterhäuser sie als Kuratorin für das Schauspielprogramm der Wiener Festwochen gewinnen. In ihrem Programm, in dem sie keinen geographischen Schwerpunkt setzte – Theater ist für Marina Davydova keine nationale Angelegenheit –, war ihr die Aufhebung der Genregrenzen ein besonderes Anliegen. Im Festwochenprogramm fanden sich Zirkus neben Performance, Figuren- und Objekttheater genauso wie Installationen, Tanz, Text oder stummes Spiel.

Dramatikerin und Regisseurin:
Im Jänner 2017 wurde Eternal Russia am Hebbel am Ufer (HAU) in Berlin uraufgeführt, ein Stück, das von Marina Davydova konzipiert, geschrieben und inszeniert wurde. Die Produktion ging danach auf Europatournee, wurde in den deutschen, russischen und litauischen Medien viel beachtet und für das Hauptprogramm des Internationalen Theaterfestivals in Belgrad (BITEF-2018) ausgewählt, wo sie auch den Sonderpreis der internationalen Jury erhielt.

Im April 2019 hatte Checkpoint Woodstock, die zweite Produktion, die von Marina Davydova geschrieben und inszeniert wurde, am Thalia Theater in Hamburg Premiere.
Marina Davydovas Stück Trance war Teil eines internationalen Projekts mit dem Titel
Die neuen Todsünden, das im Oktober 2020 am Staatstheater Karlsruhe uraufgeführt wurde. Im November 2020 konzipierte und inszenierte sie ihre erste Produktion in Russland, Diminishing the World /Die Verkleinerung der Welt.

Flucht:
Am 24. Februar 2022, dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, verfasste Marina Davydova eine Petition gegen eben diesen Krieg. Die Folge waren Drohbriefe und –anrufe, Überwachungskameras wurden auf ihrem Haus installiert, ihre Wohnungstür wurde in großen Lettern mit dem Buchstaben „Z“ gebrandmarkt. Am 5. März war sie in der Folge gezwungen, Russland zu verlassen. Seitdem lebt sie in Berlin.

Gegenwärtig arbeitet sie an einem Stück namens Land of No Return/Land ohne Wiederkehr für das Residenztheater in München und an einem Projekt mit dem Titel The Museum of Uncounted Voices / Das Museum der ungezählten Stimmen, einer Koproduktion des HAU in Berlin und der Wiener Festwochen.