30 Mrz 2022

Das Ende der Welt als Musiktheaterstoff

Salzburger Festspiele 2022

Herzog Blaubarts Burg (Béla Bartók) /
De temporum fine comoedia (Carl Orff)

Das Ende der Welt als Musiktheaterstoff, die letzten Dinge als Gegenstand sinnlicher Vergegenwärtigung und unorthodoxer Reflexion – nichts Geringeres erleben wir in Orffs letztem Bühnenwerk De temporum fine comoedia, das 1973 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt wurde. Die Grenze zur Transzendenz hat Romeo Castellucci in seinen Arbeiten oft überschritten: Er inszeniert Orffs Endzeitspiel, das verschiedene religiöse und geistesgeschichtliche Traditionen verschmilzt, in Kombination mit Bartóks einziger Oper, Herzog Blaubarts Burg. Dabei setzt er die inspirierte Zusammenarbeit mit Teodor Currentzis fort.

Woher kommt das Böse auf der Welt?
Und was erwartet jene, die ihm folgen, am Ende der Zeiten? Es sind niemals überholte Fragen, die Orff in De temporum fine comoedia aufwirft. Die Antworten, die die Sibyllen im ersten der drei Werkteile bereithalten, erwachsen aus Schreckensvisionen des Jüngsten Gerichts: Die Gerechten werden gerettet, die von „Unverstand und Besitzgier“ getriebenen gottlosen Menschen aber für immer verdammt sein. Die abschließende, vom Altgriechischen ins Lateinische umschlagende Prophezeiung – „Wehe! Die Unfrommen werden in die Hölle des ewigen Feuers gehen“ – formt Orff zu einem größeren Abschnitt aus, wobei er sich einer sprechrhythmischen Repetitionstechnik bedient, die das Stück auch im weiteren Verlauf prägt und eine unentrinnbare Sogwirkung entfaltet. Die rhythmische Intensität und die Klangwucht dieser Passagen werden manchmal bis ins Extrem getrieben. Eine Hauptrolle spielt hier der riesige Schlagwerkapparat, der fast 100 Instrumente aus den verschiedensten Musikkulturen umfasst und etwa 25 Spieler erfordert.

Die Anachoreten, frühchristliche Mönche, begegnen den sibyllinischen Weissagungen mit zorniger Ablehnung. Ihre eigenen Endzeiterwartungen konzentrieren sich in der Aussage „Omnium rerum finis erit vitiorum abolitio“, die Orff in eigenwilliger Übersetzung – „Das Ende aller Dinge wird aller Schuld Vergessung sein“ – dem Werk auch als Motto voranstellt. Der Satz stammt von dem alexandrinischen Theologen Origenes, in dessen Lehren sich griechische Philosophie und christliches Denken verbinden. Der Idee der ewigen Verdammnis setzt er die Überzeugung einer finalen Läuterung und Allversöhnung entgegen. Von dieser „Apokatástasis pánton“, der „Wiederherstellung“ aller Dinge am Ende der Zeiten, ist selbst das Böse nicht ausgenommen.
„Der Teufel geht um“, skandieren Orffs Anachoreten: „Gott hat es gewollt.“ Das Böse als Teil des göttlichen Weltenplans? In diesem Sinn ist – so der Theologe Walter Nigg – „sogar dem Teufel der Rückweg nicht abgeschnitten. Auch er wird nicht immer Satan bleiben. Alle Kreatur kehrt zu Gott zurück, dessen unendliche Barmherzigkeit das letzte Nein überwindet.“

Origenes’ Auffassung der letzten Dinge wurde von der Kirche als ketzerisch verurteilt. Welche Faszination sie auf Orff ausübte, zeigt besonders der dritte Teil der Comoedia: Während sich die „letzten Menschen“ der Klage über den Zusammenbruch des Kosmos und der Angst vor Weltgericht und Höllenqualen hingeben, erscheint Lucifer und wird im Zuge eines reuevollen Bekenntnisses („Pater peccavi“) in den „Lichtbringer“ von einst zurückverwandelt. Das Werk beschließt ein meditativer, bereits 1921 komponierter instrumentaler Kanon von vier Violen, in dem Bachs Choral „Vor deinen Thron tret’ ich hiermit“ verschlüsselt durchzuhören ist. Zugleich tut sich eine neue Klangwelt auf, denn die Streicher waren bis zu diesem Punkt nur durch Kontrabässe vertreten.

Orffs Endzeitspiel entfaltet sich zwischen Vision, Affekt und Beschwörung, Reflexion und Vergeistigung – ein Spektrum, das sich musikalisch in stärksten Kontrasten manifestiert. Wie ein Kontrast mutet auch die Koppelung der Comoedia mit Bartóks Oper Herzog Blaubarts Burg an, die am Beginn des Doppelabends steht. Die Handlung, eine symbolisch aufgeladene Version des Märchens vom Frauenmörder Blaubart, beschränkt sich auf nur zwei Personen – Blaubart und seine jüngste Gattin Judith –, das Drama ist ganz ins Innere verlagert.

Romeo Castellucci betont das theatrale Potenzial, das die formale Gegensätzlichkeit der beiden Werke in sich birgt, erspürt aber auch Beziehungen: „Von einer auf das Essenziellste beschränkten Dimension gelangen wir zu jener Explosion von Energie, die Orffs Musik sowie seine kosmologische Vorstellung vermitteln. Wir erleben die Intimität eines Paares und sehen uns unmittelbar danach dem Jüngsten Gericht gegenüber, das alle Lebenden und Toten der Welt involviert. Der Sprung ist extrem, doch im Grunde ist dieses Gericht innerlich bereits in Judiths unterschwelliger Spannung präsent. So könnte man sagen: Das Jüngste Gericht gilt Judith – als hätte sie selbst ein Verbrechen begangen.“

Béla Bartók
HERZOG BLAUBARTS BURG
A kékszakállú herceg vára –
Oper in einem Akt
Carl Orff
DE TEMPORUM FINE COMOEDIA
Das Spiel vom Ende der Zeiten – Vigilia

Neuinszenierung
Felsenreitschule
26., 31. Juli, 2., 6., 15., 20. August

Mit Unterstützung der Carl-Orff-Stiftung
Realized in partnership with GES-2 House of Culture

Christian Arseni
Text zuerst erschienen in Festspieljournal 2022, Salzburger Nachrichten

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18. Januar 2022
Herzog Blaubarts Burg | De temporum fine comoedia | Salzburger Festspiele 2022