Antony Gormley, Sight, 1986, black pigment, linseed oil and charcoal on paper, 28 x 38 cm, © the artist
„Die Zeit ist aus den Fugen“ – das Diktum, das Shakespeares Hamlet dazu bewegte, die Verhältnisse wieder ins Lot zu bringen, führt uns gedanklich zu jenen Werken, und hier vor allem zu jenen der Opernliteratur, die in der kommenden Saison auf dem Spielplan der Salzburger Festspiele stehen. Auch unsere Zeit scheint gänzlich aus den Fugen geraten; und Fragen nach universellen Zusammenhängen und Perspektiven stellen sich heute dringlicher denn je.
Kann die Kunst einer solchen Welt überhaupt etwas entgegensetzen?
Shakespeare, das Genie des Welttheaters, das sich gleichermaßen auf die Weisheit wie das schallende Lachen und den Horror der Erkenntnis verstand, steht uns — Hand in Hand mit Verdi in Macbeth und Falstaff — zur Seite. Neben ihm das andere Genie: Mozart, der mit seinem Figaro eine ganze Welt sanft und spielerisch in die Luft jagt und dennoch dem Ethos der Humanität verpflichtet bleibt. — Ähnlich und doch ganz anders als der große Aufklärer Lessing, der uns mit der Ringparabel ein Instrument für Toleranz und Menschlichkeit in die Hand gibt. Und neben diesen Genies ein tschechischer Einzelgänger und Emigrant aus dem 20. Jahrhundert: Bohuslav Martinů, der sich mit nichts weniger als der Anverwandlung der christlichen Passionsgeschichte auseinandersetzt und die Fragen seiner Zeit, die auch die Fragen unserer Zeit sind, wie unter einem Brennglas vergegenwärtigt.
Mitte des 19. Jahrhunderts komponiert Hector Berlioz mit der Grand Opéra Les Troyens eine Götterdämmerung auf der Folie der antiken Welt. Auch der große englische Barockkomponist Henry Purcell beschreibt in seiner Indian Queen die Ambivalenz unserer Existenz: „While by such various fates we learn to know, / There’s nothing, no, nothing to be trusted here below.“ Mit Glucks Orfeo ed Euridice steigen wir in die Dunkelheit des Hades und erleben den Triumph der Liebe über den Tod. Das ewige Licht wiederum, Lux aeterna, wird in der Ouverture spirituelle ebenso Klang wie das Helldunkel an der Schwelle zum Jenseits — „ein mildes Licht, das wie aus weiter Ferne von Zeit und Raum zu kommen“ scheint (György Ligeti). „Licht senden in die Tiefe des menschlichen Herzens“, so benannte Robert Schumann die Aufgabe der Kunst.
Max Reinhardt, der große Theatermacher und Mitbegründer der Salzburger Festspiele, dessen 150. Geburtstag und 80. Todestag wir 2023 gedenken, bekräftigte in seiner berühmten Rede über den Schauspieler: „Ich glaube an die Unsterblichkeit des Theaters. Es ist der seligste Schlupfwinkel für diejenigen, die ihre Kindheit heimlich in die Tasche gesteckt und sich damit auf und davon gemacht haben, um bis an ihr Lebensende weiter zu spielen.“ Auch wir glauben an die Unsterblichkeit des Theaters, der Oper, der großen Kunstwerke. Sie sind es, die uns neue Denkräume eröffnen, die einen tiefen Blick in die existenziellen Menschheitsfragen erlauben, in die Conditio humana.
Wir freuen uns auf den kommenden Sommer, wir freuen uns auf Sie, verehrtes Publikum, denn „Kunst gibt es nur für und durch andere“ (Jean-Paul Sartre).
Das Festspielprogramm für die Sommerfestspiele 2023 wurde in Salzburg von Präsidentin Kristina Hammer, Intendant Markus Hinterhäuser, dem kaufmännischen Direktor Lukas Crepaz, Schauspielchefin Bettina Hering sowie dem Leiters der Konzertabteilung Florian Wiegand präsentiert:
179 Aufführungen in 43 Tagen an 15 Spielstätten sowie 34 Vorstellungen im Jugendprogramm „jung & jede*r“ sind ab sofort online verfügbar.
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