Informationen und Anleitung zur Kartenbestellung / Kartenzuteilung und zum Kartenkauf finden Sie hier.

Liebes Publikum,

Kultur ist lebenswichtig für uns, denn sie bestimmt, wie wir zusammenleben. Durch Rituale, Bräuche, Überzeugungen und Wissen, spezifischer noch durch Religion und Kunst, wird sie von Generation zu Generation weitergegeben und ist der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält. Bei alledem spielen Mythen eine entscheidende Rolle: Sie bilden die Basis von Traditionen, die menschliche Gemeinschaften und Nationen in ihren Identitäten und damit in ihren Ansichten, ihrem Verhalten und ihren Lebensweisen definieren – die wiederum Teil ihrer Kultur sind!

Über die Jahre haben wir bei den Salzburger Pfingstfestspielen zahlreiche Persönlichkeiten, Phänomene und Orte erkundet, die mythischen Status erlangt haben. Gemeinsam haben wir uns staunenswerten Menschen der Vergangenheit gewidmet, die immer noch viel mit uns zu tun haben, etwa der mächtigen, doch vom Pfeil der Liebe getroffenen Kleopatra oder dem unglaublich intelligenten Gioachino Rossini, der Komponist, aber auch Theatermanager und Förderer von Karrieren war und mit führenden europäischen Künstler·innen, Denker·innen und Politikern seiner Zeit im Austausch stand. Wir haben Fantasiereisen nach Schottland, Rom und Sevilla unternommen – suggestive Orte, an denen verschiedene Kulturen zusammenkommen. Und natürlich haben wir uns auf die Spuren von einigen der machtvollsten Mythen in der Literatur- und Musikgeschichte begeben. Manche dieser Erkundungen galten dem schillernden, quasi-mythischen Phänomen der Kastraten, das uns unter anderem – noch lange vor den heutigen aufgeheizten Diskussionen – Genderfragen reflektieren ließ.

Als Musikerin und Sängerin glaube ich fest an die Kraft der Musik und der menschlichen Stimme. So ist der Mythos von Orpheus natürlich eine der antiken Sagen, die mich am meisten faszinieren. Ich fühle mich ermutigt, wenn ich von der wunderbaren Wirkung von Orpheus’ Musik lese: wie sie die bedrohlichsten Feinde – und sogar den Tod – besänftigen konnte, wie sie Leben auf eine Weise veränderte, die undenkbar gewesen wäre, wenn Orpheus nicht verzweifelt gewagt hätte, die ewigen Weltgesetze herauszufordern. Seine Taten lassen uns ahnen, dass wir mit himmlischen Kräften ausgestattet sind, die es uns erlauben, unsere Grenzen als gewöhnliche menschliche Wesen zu überschreiten. Diesen Eindruck haben wir Künstler·innen häufig, wenn wir die Bühne betreten, um Ihnen, liebes Publikum, besonders bezwingende Musik nahezubringen. Hier werden wir zum Katalysator für etwas, das viel größer ist als wir selbst.

Ein Held, der mittels seiner Musik den vorgezeichneten Lauf des Schicksals ändert, hat verständlicherweise vor allem das Interesse von Komponisten auf sich gezogen. Und seit Jahrhunderten fühlen wir uns durch die wundervollen und bewegenden Werke, die ihre schöpferische Kraft hervorgebracht hat, in unserer Zuversicht gestärkt. 2023 möchte ich Ihnen einige wesentliche Opernfassungen des Orpheus-Mythos präsentieren: Jede von ihnen findet nicht nur zu ihren eigenen szenischen und musikalischen Lösungen, sondern auch zu einem jeweils unterschiedlichen Ausgang der Geschichte. Unsere szenische Neuproduktion ist Glucks Orfeo ed Euridice in der selten gespielten Parma-Fassung von 1769 und in der Regie von Christof Loy. Gluck komponierte diese Partitur für den berühmten Soprankastraten Giuseppe Millico, mit dem er gut befreundet war.

Fünf Jahre später, 1774, unterzog er die Oper in Paris einer Umarbeitung und änderte den Titel entsprechend in Orphée et Eurydice. Als Orpheus war diesmal ein sehr hoher Tenor – ein haute-contre – vorgesehen, und Gluck kam den Erwartungen des französischen Publikums entgegen, indem er eine Reihe von prächtigen Tanzszenen hinzufügte. Einige von Ihnen werden sich an den tiefen Eindruck erinnern, den vor einigen Jahren die Aufführung von John Neumeiers Sommernachtstraum bei unseren Festspielen hinterließ. Neumeiers Fähigkeit, Theater und Tanz in einer ebenso musikalischen wie intelligenten und fesselnden Weise zu verbinden, ermunterte mich zum Entschluss, ihn und das Hamburg Ballett mit dieser choreografierten Alternativversion von Glucks Oper nach Salzburg zurückzubringen.

Am selben Tag haben Sie die Möglichkeit, eine Orpheus-Oper zu hören, die mir seit langem am Herzen liegt: Haydns L’anima del filosofo – ein unvollendetes und in mancher Hinsicht kryptisches Werk mit überwältigend schönen Arien und außergewöhnlichen Chören, die in ihrer emotionalen Tiefe und Komplexität an jene aus Mozarts Requiem heranreichen. Nicht zuletzt habe ich L’anima del filosofo immer im Sinn, wenn es um seine Rehabilitation als ernst zu nehmender Opernkomponist geht.

Monteverdis Ur-Oper L’Orfeo, das historische Fundament dieses vier Jahrhunderte alten Genres, werden wir in ungewöhnlicher Gestalt präsentieren, nämlich in Zusammenarbeit mit der seit 200 Jahren bestehenden Mailänder Marionettenkompanie Carlo Colla e Figli. Die Sänger·innen – ausnahmslos Alte-Musik-Spezialist·innen – werden sich mit dem Orchester im Graben befinden: Wir hören ihre Stimmen, während die Handlung von den italienischen Puppenspieler·innen zum Leben erweckt wird und in sorgfältig entworfenen Miniatur-Bühnenbildern und -Kostümen eine farbenfrohe Umsetzung erfährt.

Als ich mir über die Kraft einer Stimme Gedanken machte, die uns nicht nur im Konzertsaal zu bewegen vermag, sondern auch in unserem Leben abseits der Bühne – wo wir einem ständig wachsenden Ausmaß von Leid und Konflikt begegnen –, dachte ich sofort an Daniel Barenboim, der kürzlich seinen 80. Geburtstag beging. Ich bin ihm für immer dankbar, dass er mich in der Frühzeit meiner Karriere entdeckte und beriet und mir seit nunmehr 35 Jahren als unendlich inspirierender musikalischer Partner und treuer Freund erhalten geblieben ist.

Tatsächlich ist Daniel wahrscheinlich sogar für meine Verbindung zu Salzburg und den Pfingstfestspielen verantwortlich! Kurz nachdem er mich erstmals im Fernsehen gehört und zu einem Vorsingen eingeladen hatte, erhielt er einen Telefonanruf von Herbert von Karajan. Dieser erkundigte sich bei Daniel, ob er diese sehr junge und völlig unbekannte römische Mezzosopranistin gehört habe und ob es sich wohl lohnen würde, dass sie ihm vorsinge. Und so kam ich das erste Mal nach Salzburg. Mein Operndebüt hier fand 1993 statt, und ich hatte das Glück, für eine denkwürdige Neuproduktion von Don Giovanni im folgenden Jahr wieder eingeladen zu werden: Regie führte Patrice Chéreau, und die wunderbare Besetzung wurde von Daniel Barenboim dirigiert, der mir damals die grundlegenden Dinge über Mozart beibrachte.

Bei meinen Planungen für 2023 schwebte mir ursprünglich ein Festival vor, in dem Daniel zu Ehren seines runden Geburtstages aktiv als Dirigent und Musiker mitwirken sollte. Damit wollte ich meine demütige Bewunderung für seine leidenschaftliche und unermüdliche, in seinen Worten und in seinem Musizieren greifbare Stimme zum Ausdruck bringen, die er immer wieder so furchtlos gegen den allgemeinen Strom erhebt und die das Leben so vieler Menschen verändert hat.

Wie wir alle wissen, geht es Daniel zurzeit nicht gut. Dennoch will ich ihm einen Tag der Pfingstfestspiele 2023 widmen: mit einer Schubertiade, die er hoffentlich gemeinsam mit mir und Martha Argerich gestalten wird, und einem abendlichen Galakonzert, das eine Schar seiner engsten Freund·innen mit ebenbürtigen Künstlerkolleg·innen vereint. Damit hoffe ich, Daniel Barenboim hochleben zu lassen, und schicke ihm unendlich viel positive Energie für seine baldige Genesung.

Menschen wie Daniel Barenboim sind für mich ein Beweis, dass große Mythen nicht bloß Hervorbringungen unseres hochstrebenden Geistes sind. Offensichtlich können sie sehr real sein und ihre Ursprünge in von tiefer Humanität erfüllten Personen haben. So wie in der Geschichte von Orpheus haben Daniels Stimme und – nicht weniger wichtig – seine Musik die Kraft, uns im Innersten zu berühren, zutiefst zu bewegen, außerordentlich zu inspirieren und nachhaltige Änderungen zuwege zu bringen, die die meisten von uns für unmöglich gehalten hätten.

Cecilia Bartoli

mehr dazu weniger anzeigen

„Die Zeit ist aus den Fugen“ — das Diktum, das Shakespeares Hamlet dazu bewegte, die Verhältnisse wieder ins Lot zu bringen, führt uns gedanklich zu jenen Werken, und hier vor allem zu jenen der Opernliteratur, die in der kommenden Saison auf dem Spielplan der Salzburger Festspiele stehen. Auch unsere Zeit scheint gänzlich aus den Fugen geraten; Fragen nach universellen Zusammenhängen und Perspektiven stellen sich heute dringlicher denn je. Kann die Kunst einer solchen Welt überhaupt etwas entgegensetzen?

Shakespeare, das Genie des Welttheaters, das sich gleichermaßen auf die Weisheit wie das schallende Lachen und den Horror der Erkenntnis verstand, steht uns — Hand in Hand mit Verdi in Macbeth und Falstaff — zur Seite. Neben ihm das andere Genie: Mozart, der mit seinem Figaro eine ganze Welt sanft und spielerisch in die Luft jagt und dennoch dem Ethos der Humanität verpflichtet bleibt. — Ähnlich und doch ganz anders als der große Aufklärer Lessing, der uns mit der Ringparabel ein Instrument für Toleranz und Menschlichkeit in die Hand gibt. Und neben diesen Genies ein tschechischer Einzelgänger und Emigrant aus dem 20. Jahrhundert: Bohuslav Martinů, der sich mit nichts weniger als der Anverwandlung der christlichen Passionsgeschichte auseinandersetzt und die Fragen seiner Zeit, die auch die Fragen unserer Zeit sind, wie unter einem Brennglas vergegenwärtigt.

Mitte des 19. Jahrhunderts komponiert Hector Berlioz mit der Grand Opéra Les Troyens eine Götterdämmerung auf der Folie der antiken Welt. Auch der große englische Barockkomponist Henry Purcell beschreibt in seiner Indian Queen die Ambivalenz unserer Existenz: „While by such various fates we learn to know, / There’s nothing, no, nothing to be trusted here below.“ Mit Glucks Orfeo ed Euridice steigen wir in die Dunkelheit des Hades und erleben den Triumph der Liebe über den Tod. Das ewige Licht wiederum, Lux aeterna, wird in der Ouverture spirituelle ebenso Klang wie das Helldunkel an der Schwelle zum Jenseits — „ein mildes Licht, das wie aus weiter Ferne von Zeit und Raum zu kommen“ scheint (György Ligeti). „Licht senden in die Tiefe des menschlichen Herzens“, so benannte Robert Schumann die Aufgabe der Kunst.

Max Reinhardt, der große Theatermacher und Mitbegründer der Salzburger Festspiele, dessen 150. Geburtstag und 80. Todestag wir 2023 gedenken, bekräftigte in seiner berühmten Rede über den Schauspieler: „Ich glaube an die Unsterblichkeit des Theaters. Es ist der seligste Schlupfwinkel für diejenigen, die ihre Kindheit heimlich in die Tasche gesteckt und sich damit auf und davon gemacht haben, um bis an ihr Lebensende weiter zu spielen.“ Auch wir glauben an die Unsterblichkeit des Theaters, der Oper, der großen Kunstwerke. Sie sind es, die uns neue Denkräume eröffnen, die einen tiefen Blick in die existenziellen Menschheitsfragen erlauben, in die Conditio humana.

Wir freuen uns auf den kommenden Sommer, wir freuen uns auf Sie, verehrtes Publikum, denn „Kunst gibt es nur für und durch andere“ (Jean-Paul Sartre).

mehr dazu weniger anzeigen

Pfingstprogramm 2023

Sommerprogramm 2023

Trailer 2023

17. Februar 2023
Macbeth | Salzburger Festspiele 2023_1
17. Februar 2023
Orfeo ed Euridice | Salzburger Festspiele 2023_1
17. Februar 2023
Liebe (Amour) | Salzburger Festspiele 2023_1
6. Februar 2023
Nathan der Weise | Salzburger Festspiele 2023_1
20. Januar 2023
Falstaff | Salzburger Festspiele 2023_1
12. Januar 2023
Figaro | Salzburger Festspiele 2023_1
Macbeth | Salzburger Festspiele 2023_1
Orfeo ed Euridice | Salzburger Festspiele 2023_1
Liebe (Amour) | Salzburger Festspiele 2023_1
Nathan der Weise | Salzburger Festspiele 2023_1
Falstaff | Salzburger Festspiele 2023_1
Figaro | Salzburger Festspiele 2023_1