Mozart begegnet seinen Figuren mit viel Liebe.
Seit rund drei Wochen laufen die Proben zu Wolfgang Amadeus Mozarts La clemenza di Tito. Robert Carsen und Gianluca Capuano im Gespräch darüber, dass Mozart seinen Figuren mit viel Liebe begegnet.
Seine erste Mozartoper und seine sechste Opernproduktion insgesamtdirigiert Gianluca Capuano in Salzburg. Für ihn ist die Clemenza ein ambivalentes Stück, daseinerseits eine Hommage an die Blütezei der metastasianischen Opera seria darstellt, andererseits modern und vorwärtsgewandt ist. Mehr als 40 Mal war das Libretto im Entstehungsjahr 1791 zuvor bereits vertont worden, die fast schon vergessene Ära groß angelegter Secco-Rezitative und Da Capo-Arien für Kastraten lässt Mozart hier noch einmal aufleben.
Moderne Aspekte sieht Capuano demgegenüber in der formalen Anlage und der Harmonik: „Das Finale des ersten Akts trägt beinahe schon protoromantische, zukunftsweisende Züge. Am Ende seines Lebens experimentiert Mozart mit Formen“, charakterisiert Capuano die Musik und fügt erläuternd hinzu: „Die Arien sind – mit Ausnahme der großen dreiteiligen Arie im zweiten Akt – im Vergleich zur ursprünglichen Metastasio-Fassung stark verkürzt, Mozart ist in der Lage, sich auf vergleichsweise engem Raum komprimiert und knapp auszudrücken“.
Zudem experimentiere Mozart in den beiden großen Arien von Sesto im zweiten Akt und von und Vitellia am Ende der Oper mit einem Solo-Instrument in Gestalt von Klarinette bzw. Bassetthorn. Als weitere progressive Elemente sieht Capuano: „Es gibt im ersten Akt ein sehr schnelles Terzett, danach sofort ein großes Accompagnato-Rezitativ von Sesto und dann direkt das Finale. Das ist total modern. Auch, dass er die Oper mit einem Duett beginnt“. Die sehr langen, aus Zeitgründen von Mozarts Schüler Süßmayr verfassten Rezitative seien zum Teil stark gekürzt worden. Auch sonst sei das ursprüngliche Libretto komplett umgearbeitet worden, so enthalte Mozarts Clemenza erstaunlich viele Terzette, wohingegen bei Metastasio nur Rezitative und Arien vorkämen. Geblieben sei als Reminiszenz an die alte Zeit noch die für einen Kastraten geschriebene Rolle des Sesto. „Die Partie erstreckt sich über mehr als zwei Oktaven und ist damit auch heute noch sehr schwer zu singen“, erklärt Capuano.
Regisseur Robert Carsen betont, wie sehr er in Salzburg die Möglichkeit schätzt, fokussiert und mit hochqualifizierten Kolleg·innen wie Cecilia Bartoli und hervorragenden Sänger·innen über einen längeren Zeitraum an nur einem Werk zu arbeiten. Auch für ihn wohnt der DNA des Stücks ein Geist von Veränderung inne. Schon zu Mozarts Zeit hätten sich Kontext und Schwerpunkt des Werks inhaltlich stark verändert. In formaler Hinsicht sei die Zahl der Figuren im Vergleich zur ursprünglichen Vorlage nahezu halbiert worden. Ins thematische Zentrum sei schon damals die Frage gerückt: Was mach eine gute Regierung aus? Als Regisseur nähere er sich dem Stück denn auch von dieser Seite: „Für mich steht im Vordergrund die Frage nach politisch richtigem Handeln. Es geht um Macht, die Vitellia vor dem Hintergrund ihres eigenen Traumas für sich beansprucht. Ihre verloren gegangene soziale Stellung möchte sie durch die Heirat mit Titus zurückerlangen“. Durch dessen Entscheidung für Servilia werde sie aber ein zweites Mal übergangen. Als liberalem Humanist gehe es Titus dabei nicht um seine eigene Herrschaft, sondern darum, was das Volk vom Staat verlangt. Dadurch sehe er sich dazu gezwungen, sich über gesetzliche Vorschriften hinwegzusetzen. „Ich denke, diese Oper kann je nach Betrachtung unterschiedlicher politischer Situationen unterschiedlich gelesen werden. Die wichtigste Frage lautet: Was erwarten wir von der Politik?“, sagt Carsen beispielsweise mit Blick auf die aktuelle politische Lage in Amerika. In Anspielung darauf sei Titus auch eine Figur, die dankbar für die Wahrheit sei, die ihr entgegengebracht werde und – anders als im Zeitalter so genannter „Fake News“ – einen verantwortungsvollen Umgang damit anstrebe.
Ein Aspekt des Librettos ist für ihn auch der Verweis auf die historische Figur des Titus, der zu Zeiten an der Macht war, als der Vesuv ausbrach und dem es – nicht zuletzt durch die Investition eigener Gelder – darum ging, das Leid des Volkes zu lindern. So komme auch bei Mozart klar zum Ausdruck, dass Titus sein Volk liebt und sich für dessen Wohl engagiert. Darin seien auch Anklänge an Shakespeare zu erblicken, in dessen Werken es – etwa am Beispiel Richards III. – ebenfalls vielfach um Macht und darum gehe, ob Herrscher überhaupt, und wenn ja, welche Ziele vor Augen hätten.
Auch für ihn, so Carsen, sei La clemenza di Tito daher ein ambivalentes Werk, was seiner persönlichen Haltung entgegenkomme: „Ich schätze Zweideutigkeit. Für mich sind nicht nur Schwarz-Weiß Kontraste, sondern auch die Grautöne, die Zwischentöne eines Stücks besonders interessant“. Die kämen generell in Mozarts Opern stark zur Geltung: „Mozart begegnet seinen Figuren mit viel Liebe und Wertschätzung“.