Andy Warhol, Four Shoes with Playing Card Suits, 1950s, tempera and printed collage on Strathmore paper (38.7 x 61 cm; 1998.1.1295) The Andy Warhol Museum, Pittsburgh; Founding Collection, Contribution The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. © The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / Bildrecht Wien, 2025

„Sprich zu mir! Ich schaue dich an, o meine Sonne, und ich erkenne dich nicht.“

Schlicht Sie und Er – „Lei“ und „Lui“ – nannte Pascal Dusapin die beiden solistischen Rollen seiner Oper Passion, doch schimmern in ihnen die Figuren von Orpheus und Eurydike wie eine ferne Erinnerung durch. Fragen, die den Komponisten bei der Konzeption seines sechsten Musiktheaterwerkes beschäftigten – etwa, ob sich Orpheus bei der Rückkehr aus der Unterwelt bewusst nach Eurydike umblickt, weil ihm klar wird, wie sehr ihr Verschwinden und sein Schmerz über den Verlust ihn als Künstler beflügeln –, schlugen sich in bezeichnenden Änderungen am Mythos nieder: Bei Dusapin wird die Frau im Gegensatz zu Eurydike nicht ge­opfert, denn sie weigert sich, dem Mann zu folgen; und auch er wird nicht in die Welt der Lebenden zurückkehren.

Die 2008 uraufgeführte Oper entwickelt sich als Dialog eines Paares zwischen Wiederannäherung und Entfremdung. Dusapin überschrieb die zehn ineinander übergehenden Abschnitte – wie auch das Werk als Ganzes – jeweils mit „Passion“. Schon lange hatte er sich mit dem Gedanken an ein Projekt getragen, dessen zentrales Thema der musikalische Ausdruck von „Passionen“, von „Leidenschaften der Seele“ sein sollte. Als er 2005 vom Festival d’Aix-en-Provence den Auftrag für ein Bühnenwerk erhielt, das sich mit den drei erhaltenen Opern von Claudio Monteverdi auseinandersetzen sollte, kam ihm sofort in den Sinn, welch immense Bedeutung der Aus­druck von Affekten und Gefühlen für diesen Pionier der Oper gehabt hatte. Er beschloss daher, den Auftrag mit seinem Passionen-Projekt zu verbinden.

Und so befinden sich Lei und Lui in einem ununterbrochenen Fluss wechselnder Seelenzustände: „Die Leidenschaften“, so Dusapin, „überlagern sich, prallen aufeinander und teilen sich in eine Vielzahl von Wegen, die gezeichnet sind von Angst, Freude, Schmerz, Schrecken, Begehren, Entzücken, Kummer, Liebe und Wut.“ Dusapin nimmt in seiner Partitur subtil auf Monteverdi und den Barock Bezug und erschafft doch eine ganz eigene Klangwelt: Musik von ruhiger, spannungsvoller Intensität, hypnotischer Kraft und herber Schönheit.

Christian Arseni

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