Zeit mit Schönberg
Aquarell auf Papier (Kontobuchseiten), 61,4 x 91,3 cm
Courtesy Martha Jungwirth, Foto: Lisa Rastl
© Martha Jungwirth/Bildrecht, Wien 2023
Arnold Schönbergs Wirken im Kontext seiner Zeit
Der Zyklus erkundet den Komponisten anlässlich seines 150. Geburtstags als Inbild eines Jahrhunderts. Arnold Schönbergs kompositorische Errungenschaften aus den Regionen endlicher Romantik über die Emanzipation der Dissonanz in freier Atonalität bis zur Zwölftonmethode werden eingebettet in Musik Einfluss gebender Vorläufer, Schüler und Nachfahren: von Wagner, Beethoven, Brahms und Mahler über Schreker, Berg, Webern und Eisler bis in die Gegenwart.
Die auslösende und verändernde Kraft seines Schaffens ist von initialer Bedeutung für die Entwicklung der Tonkunst bis heute und wird hörbar an der Weiterentwicklung der Tristan-Harmonik in früher Programmmusik, Ganztonskala und Quartenharmonien in Verschmelzung von Kammermusik und Symphonie, Klangfarbenmelodie von Orchesterstücken oder dodekaphonen Strukturen in Klavierwerken. Äußerste Kompromisslosigkeit, kämpferische Innovation und absoluter Fortschrittsglaube, aber auch ein hoher Anspruch, den seine Werke an das Hören stellen, übertrugen Schönberg die Hypothek eines Konstrukteurs. So weit sich seine Musik von gängigen Übereinkünften der Musikindustrie entfernen mag, so tief wurzelt sie in der Befragung aller Seelenlagen. „Die Erlebnisse seines Herzens werden zu Tönen.“ (Anton Webern)
Schönbergs Schreiben und Denken empfing maßgebliche Anregungen durch den gleichaltrigen Dichter, Publizisten und Rezitator Karl Kraus. Als Sachwalter und Sittenrichter der Sprache stand Kraus für deren Wertmessung, für den Kampf gegen die korrumpierende Medienphrase. Sein Weltkriegsdrama Die letzten Tage der Menschheit (das Erwin Steinhauer in Auszügen rezitiert) entwirft mit satirischer Stimme Untergangsprozess und Realität der Massentragödie im Ersten Weltkrieg. Schönberg wird den Text von Leid, von Unmenschlichkeit und Machtstrukturen in sein amerikanisches Exil mitnehmen, wo er mit der Ode to Napoleon Buonaparte eine Bestandsaufnahme der zweiten unermesslichen Katastrophe des 20. Jahrhunderts vorlegt.
„Zeit mit Schönberg“ beleuchtet den Komponisten auch als Impulsgeber und thematisiert Facetten seiner künstlerischen Erben: von Luigi Nono bis zu Olga Neuwirth, deren Musik zum Stummfilm Die Stadt ohne Juden feinsinnig „zur Wahrheit zwingt“ (Elfriede Jelinek). Mit seinen Zeitgenossen Schönberg und Kraus einte den Schriftsteller Hugo Bettauer, dessen gleichnamiger Roman die Grundlage des Drehbuchs bildet, ein absolutes Gehör für anschwellende Misstöne des Nationalsozialismus. Die Vertreibung der Juden wird zum Sinnbild nicht nur einer einzigen Epoche selbsternannt überlegener Kulturen. Auch darin bekundet der Zyklus die Aufhebung der historischen Differenz zu unserer Zeit.
Therese Muxeneder
zuerst erschienen in der Festspielbeilage der Salzburger Nachrichten 2024