Jedermann 2024
Jedermann, Buhlschaft & Regie
Wir freuen uns sehr, dass Philipp Hochmair die Rolle des Jedermanns im Sommer 2024 übernimmt. An seiner Seite begleitet ihn Deleila Piasko als Buhlschaft durch das Spiel vom Leben und Tod des reichen Mannes. Die Regie übernimmt Robert Carsen und setzt sich mit der Frage auseinander, ob der Jedermann in den Reichtum hineingeboren wurde, oder ein Selfmademan ist? Und macht das einen Unterschied?
Regisseur Robert Carsen:
„Hugo von Hofmannsthal fasziniert mich seit Langem. Ich sehe in ihm den bewussten und unbewussten Meister des Zeitgeistes – und ich verwende Freuds Terminologie mit Bedacht –, der, auch wenn er seine Werke in der Vergangenheit ansiedelte, stets in Verbindung mit den sozialen, psychologischen und politischen Entwicklungen seiner Gegenwart stand. Aus seinem literarischen Schaffen sind mir (als Regisseur von fünf der sechs Opern, die er mit Richard Strauss schrieb) am besten seine Libretti bekannt, ich bewundere aber auch seine Lyrik, Dramen und erzählende Prosa.
Unter seinen Werken ist Jedermann zweifellos das universellste und populärste. Das Stück basiert auf mittelalterlichen Moralitäten desselben Titels, die im 15. Jahrhundert in den Niederlanden und im 16. Jahrhundert in England gespielt wurden, und steht somit in einer langen Tradition. Es geht in diesen Bühnenstücken um das eine große Mysterium, dem wir uns alle eines Tages stellen müssen: den Tod. Wir Menschen sind unserem Wesen nach jedoch nicht imstande, den eigenen Tod wirklich zu begreifen. So bleibt er zumeist etwas, das anderen widerfährt. Wenn es aber für uns selbst ans Sterben geht – was eines Tages geschehen muss –, dann ist es immer zu früh. Warum ist das so, und woran halten wir so verzweifelt fest, wenn wir uns ans Leben klammern? Es ist sind unter anderem diese Fragen, die im Jedermann erkundet werden. Das Stück bezieht seine Kraft und Resonanz daraus, dass seine Thematik – wenn auch in kodifizierter Form erzählt – jeden und jede einzelne im Publikum betrifft, jedes Jahr, bei jeder Vorstellung. Das lässt sich nicht über alle Theaterstücke sagen.
Wie seine mittelalterlichen Vorläufer bringt das Stück eine Mischung aus realen und allegorischen Figuren auf die Bühne, die von Hofmannsthal jedoch anders entwickelt werden. Die realen Figuren in Jedermanns Leben – sein bester Freund, seine Bediensteten, der Nachbar, die Mutter, die Geliebte, die Vettern und andere – werden als erste vorgestellt (nach dem Prolog mit Gott und dem Tod), und die Dialoge zwischen ihnen und Jedermann zeichnen ein klares Bild seines Alltags. Seine Besessenheit von Geld und der Taumel der Sinnesfreuden, denen er dauernd nachjagt, werden in der Darstellung des Festes, das er gibt, weiter ausgeführt – dass es nur eines in einer langen Reihe solcher Feste ist, legt der Untertitel „Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ nahe, den Hofmannsthal seiner Version des Stoffs gab. Das ist paradox, denn Jedermann soll ja für alle stehen und Gültigkeit haben, aber nicht alle sind reich. Er verhält sich, als hätte er ein Recht auf alles und jedes; wurde er also in den Reichtum hineingeboren, oder ist er ein Selfmademan? Und macht das einen Unterschied?
Eine der bedeutendsten Entwicklungen, die Hofmannsthal in die Erzählung einbringt, ist Jedermanns Nachdenken darüber, dass vielleicht anderes als Reichtum und sinnliches Vergnügen wichtig sein könnten, und zwar bevor ihm der Tod erscheint. Direkt nach dem Gespräch mit seiner Mutter – und vielleicht durch dieses ausgelöst – öffnet sich etwas in seiner Psyche und bewegt ihn dazu, seine Lebensführung infrage zu stellen. Damit beginnt eine Suche nach dem Wert und dem Sinn des Lebens, in deren Verlauf Jedermann sich immer weiter Fragen nach der Bedeutung des Todes, der Guten Werke, des Glaubens und letztlich Gottes stellt. Man könnte sagen, dass die Dialoge, die Jedermann mit den allegorischen Figuren führt, den inneren Dialogen, die wir alle täglich mit uns selbst führen, nicht unähnlich sind.
Unterstützt und ermutigt von Max Reinhardt, setzt sich Hofmannsthal in seinem Jedermann mit der fundamentalen Frage des Todes auseinander und damit, ob und wie wir uns dafür rüsten können. Dabei kann für Gläubige jedweder Glaubensgemeinschaft die religiöse Vorbereitung im Mittelpunkt stehen, für Hofmannsthal aber spielte meiner Meinung nach auch der Bezug zwischen Kunst und Tod eine große Rolle. Er entwickelte das Thema mehrfach in vielen seiner Werke und erweiterte die Bedeutung des Todes für unser Leben, indem der den Begriff der Zeit infrage stellte. Die Befassung mit der Zeit wurde in Hofmannsthals Händen zu Kunst, und der Platz, den sein Jedermann bei den Salzburger Festspielen im Lauf der Zeit eingenommen hat, scheint mir zu bestätigen, wie wichtig Kunst – alle Künste – für unser Leben sein können. Kunst ist das einzige, das bleibt, wie uns die Abfolge der Menschheitskulturen vor Augen führt. Kunst kann uns dabei helfen, mit der Vergänglichkeit unseres Lebens und der Endgültigkeit des Todes umzugehen, sie vielleicht sogar zu bewältigen. Das mag einer der Gründe sein, warum der Jedermann fast zu einem Symbol für die Salzburger Festspiele geworden ist.
Max Reinhardts Idee, den Jedermann im Herzen der Stadt, auf dem Domplatz, aufzuführen, ist erfüllt von Resonanz, aber auch von Freude. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Stück sich zwar mit Inhalten beschäftigt, die uns heilig sind, dass es selbst aber kein Heiligtum ist – und weder Hofmannsthal noch Reinhardt hätten wohl gewünscht, dass man es als solches behandelt. Es feiert das Leben, indem es den Tod annimmt, als wäre es Tauffest und Trauerfeier in einem. Jedermann ist eine Zusammenfassung, eine Metapher und eine Allegorie des Lebens.
Es ist mir und meinem Team eine große Ehre, dass wir eingeladen wurden, den Jedermann zu inszenieren – und eine noch größere, auf diese Weise mit den wunderbaren Theatermachern vergangener Produktionen eine Verbindung zu spüren.“
Philipp Hochmair:
„Jedermann ist für mich so etwas wie eine Lebensrolle geworden. Die Geschichte vom Leben und Sterben des reichen Mannes ist ein eindringliches Gesamterlebnis und macht Jedermann als Zeitgenossen erkennbar, der in seiner unstillbaren Gier nach Geld und Rausch förmlich verglüht. Die Kernfrage ist zeitlos und ewig gültig: ,Was bleibt von meinem Leben, wenn es ans Sterben geht?‘“
Deleila Piasko:
„Es ist für mich eine große Ehre diese Rolle der Buhlschaft spielen zu dürfen und somit ein Teil dieses traditionsreichen Theatereignisses zu werden. Voller Vorfreude und Neugierde blicke ich auf die anstehenden Proben und die kreativen Auseinandersetzungen mit Robert Carsen und dem Ensemble.“