Salzburger Festspiele PFINGSTEN
17 — 20 MAI 2024
Liebe Freundinnen und Freunde!
Pralinen gibt es in allen möglichen Formen und Größen. Aber ich bin sicher, dass Paul Fürst seiner berühmten Erfindung 1890 nicht zufällig die Form einer Kugel gab, unter deren glatter Oberfläche sich mehrere Schichten mit überraschend unterschiedlichen Geschmacksnuancen und Texturen verbergen. Dabei werden für die Mozartkugel nur zwei Hauptzutaten verwendet: Schokolade und Nüsse. Sich eine dieser kleinen Köstlichkeiten auf der Zunge zergehen zu lassen, ist für mich nicht unähnlich jenem Erlebnis, wenn sich Mozarts musikalischer Kosmos wundersam an unserem Ohr auftut: Unter der glänzend-glatten Oberfläche dringen wir in musikalische Schöpfungen ein, die im Zeichen höchst kreativer Neuerung stehen und gleichzeitig den Genre- und Stilformen des 18. Jahrhunderts verpflichtet sind.
Die hohe handwerkliche Qualität, die tief empfundenen Emotionen und der leichtfüßige Humor Mozart’scher Kompositionen zeigen sich nicht immer beim ersten Hören, da die Musik scheinbar schlicht und angenehm daherkommt. Deshalb gestatte ich mir, für meine Hommage an Mozarts Werk diesen spielerischen Vergleich zu bemühen — immerhin hat das berühmteste Produkt, das nach ihm benannt ist, seinen Namen in alle Welt getragen und sogar bei Menschen bekannt gemacht, die klassischer Musik eher gleichgültig gegenüberstehen.
Von meiner Warte aus strahlte Mozart schon in den Anfangsjahren meiner Laufbahn wie ein heller Stern. Bevor ich Mozarts Musik kennenlernte, hatte ich mich vor allem mit Rossini beschäftigt, dem ich immer von Herzen zugetan bleiben werde. An Rossini faszinierten mich die Klarheit seiner Vokallinien und die Brillanz seiner Ornamentierung ebenso wie die Komplexität seiner fesselnden Ensemblepartien. Erst viel später wurde mir klar, dass er ein großes Vorbild hatte, in dessen Musik ich unbewusst die gleichen Merkmale erkannt hatte: Wolfgang Amadeus Mozart.
Auf meiner ersten, wunderbaren Reise durch Mozarts Welt geleitete mich Daniel Barenboim. Durch ihn lernte ich die Da Ponte-Opern kennen und erarbeitete mir jene Rollen, die junge Mezzosopranistinnen zu Beginn ihrer Karriere in der Regel singen: Cherubino, Dorabella, Zerlina. Er vermittelte mir damit eine der wohl fruchtbarsten Lernerfahrungen meines Lebens und weckte in mir eine Leidenschaft für diesen Komponisten, die nie vergehen sollte.
Ein weiterer entscheidender Punkt in meiner Laufbahn war die Begegnung mit Nikolaus Harnoncourt, der meine Einstellung zu Notenmaterial und Orchesterklang veränderte. Mit ihm konnte ich die Gleise der Konvention verlassen und mich in Rollen versuchen, die nicht zum herkömmlichen Mezzo Repertoire gehören, aber für meine individuelle Stimme und Persönlichkeit passten: Donna Elvira und vor allem Fiordiligi.
Oft frage ich mich, wie viele Menschen wohl Mozarts zahlreiche Werke kennen und wie viele das Glück hatten, sie live zu erleben — zumindest die berühmtesten darunter? Sich die schiere Menge an großartigen musikalischen Schöpfungen vor Augen zu halten, die er in unglaublich kurzer Zeit hervorbrachte, lässt uns ein ums andere Mal in Demut verstummen. Er hat ein Universum geschaffen, eine Welt für sich, die uns ohne Ende Freude bereitet.
Es mag überraschend sein, aber seit ich 2012 die künstlerische Leitung der Salzburger Pfingstfestspiele übernommen habe, ist Mozart noch nie im Mittelpunkt des Festivals gestanden. Also dachte ich mir: „Wenn schon, denn schon“ — und beschloss, meinem Lieblingskomponisten vier herausragende Tage zu widmen, Humor und Mozartkugeln inklusive. Am wichtigsten ist mir dabei, die Freude am Singen, Spielen und Hören seiner Musik weiterzugeben.
Letztes Jahr beschäftigte ich mich von Neuem mit La clemenza di Tito und realisierte, dass ich mir nicht mehr bewusst war, wie großartig diese ebenso schöne wie zu Unrecht wenig beachtete Oper ist. Diese Erkenntnis begeisterte mich so, dass ich mich entschied, erstmals in einer szenischen Produktion von La clemenza di Tito mitzuwirken. Das Ergebnis: Robert Carsen wird 2024 bei den Pfingstfestspielen eine Neuproduktion auf die Bühne bringen, bei der Sie mein Bühnendebüt in der Rolle des Sesto erleben können, gemeinsam mit hervorragenden Mozart-Sänger·innen und Les Musiciens du Prince — Monaco, die auf historischen Instrumenten spielen werden, und unter dem Dirigat des wunderbaren Gianluca Capuano.
Um diesen programmatischen Kern gruppieren sich weitere Aufführungen, die der Freude an Mozarts Musik gewidmet sind. Diese werden Sie im Laufe des Pfingstwochenendes wie die Schichten einer köstlichen Mozartkugel entdecken und nacheinander genießen können.
Für mich als Italienerin und leidenschaftliche Freundin des Theaters ist die Zusammenarbeit von Mozart und Da Ponte, die Text und Musik zu einer perfekten Einheit verschmelzen, eine der bedeutendsten künstlerischen Beziehungen der Operngeschichte. Im Lauf der Jahre hatte ich in diesen Opern Auftritte in vielen Partien und jedes Mal entdecke ich neue, brillante Details. Eine launige Da Ponte-Gala, gestaltet von Davide Livermore, bringt große Szenen und Arien aus Le nozze di Figaro, Così fan tutte und Don Giovanni auf die Bühne. Eine Reihe großartiger Kolleg·innen wird sich gemeinsam mit mir darauf einlassen, von Rolle zu Rolle zu wechseln, wie wir es ja seit Jahren machen, aber diesmal wollen wir das alles — schwindelerregend! — an einem einzigen Abend unterbringen.
Ein Kontrastprogramm dazu bildet ein geistliches Konzert, in dem Mozart einen tiefen Ernst erkennen lässt, wie er in seinen fröhlichen Komödien selten anklingt. Besser als in den Opern kommen hier seine herausragenden Fähigkeiten als Komponist von Chormusik zur Geltung, was — neben einer Reihe glänzender Solo-Darbietungen — mit ein Grund ist, sich die Zeit zu nehmen, diese Seite von Mozarts Kunst wiederzuentdecken. Gesungen werden die Chorpartien vom Vokalensemble Il Canto di Orfeo, das bei den Salzburger Festspielen 2023 vom Publikum mit stürmischem Applaus bedacht wurde.
Ein ganz anderes Mozart-Universum eröffnet sich in seiner Klaviermusik. Es freut mich besonders, dass mein lieber Freund András Schiff, ein Experte von Weltruf auf diesem Gebiet, uns Einblick in diesen bedeutenden Teil von Mozarts Œuvre geben wird. Das majestätische Klavierkonzert C-Dur KV 503 wiederum wird der aussergewöhnliche Daniil Trifonov präsentieren, den ich damit erstmals als Solisten zu Pfingsten begrüßen darf. Den Orchesterpart übernimmt die hoch angesehene Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter Chefdirigent Paavo Järvi, die ebenfalls zum ersten Mal bei den Pfingstfestspielen gastieren und hier auch zwei von Mozarts großen Symphonien zur Aufführung bringen.
Mozarts Welt in vier Tagen zu umreißen ist ein ehrgeiziges, letztlich unmögliches Unterfangen — als würde einem eine Schachtel Mozartkugeln vor die Nase gehalten, aus der man aber nur ein oder zwei Stück naschen darf. Doch es ist ein Anfang, eine Erinnerung. Denn mag Mozart in Salzburg auch allgegenwärtig sein — von seiner Musik kann man nie genug bekommen. Man kann immer und immer wieder zu ihr zurückkehren, solange sie stets mit Liebe und Sorgfalt behandelt wird.