Antony Gormley, Untitled, 1983, black pigment, linseed oil and charcoal on paper, 84 x 60 cm, © the artist
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Zeit mit LIGETI

„Hinter der Musik gibt es eine Musik und dahinter noch eine Musik, eine unendliche Perspektive, so wie wenn man sich in zwei Spiegeln sieht und eine unendliche Spiegelung entsteht“, beschrieb György Ligeti die räumliche Wirkung seiner Musik. Seine „Klangfarbenkompositionen“ changieren von hell nach dunkel, sind von komplexen Strukturen geprägt — Labyrinthen, Spiralen, Netzen — und wachsen als „harmonische Gebilde gleichsam in andere hinüber — wie wenn man aus grellem Sonnenlicht in ein dunkles Zimmer tritt und die Farben und Konturen nach und nach wahrnimmt“, sagte er über eine seiner berühmtesten Kompositionen, Lontano. Der große Universalist in der Musik des 20. Jahrhunderts sah es als seine Aufgabe an, die Avantgarde und ihre Ziele anders zu beleuchten, die Musik im Allgemeinen nochmals von Grund auf neu zu denken, neu zu entdecken und ihr damit auch ungeahnte Freiräume zu erschließen.
In gewisser Weise übersetzte er auch die Vielstimmigkeit seiner Herkunft in Klang: Geboren 1923 im siebenbürgischen Dicsőszentmárton (rumänisch Târnăveni, deutsch Sankt Martin), empfand sich György Ligeti als Ungar — und als doppelt geschädigt durch Nationalsozialismus und Kommunismus. Im Zuge des ungarischen Volksaufstandes 1956 in den Westen geflohen, sollte er dort, „ein Außenseiter, ein Neuling, ein Emigrant […] mit soviel Selbstbewußtsein wie Entdeckerfreude und Risikobereitschaft“, antreten, „die etablierte Avantgarde das Staunen zu lehren“ (Monika Lichtenfeld).
Von der frühen Neuerfindung der Musik in der Musica ricercata bis zur phänomenalen, hochvirtuosen Spätlese der Études für Klavier, von den heiteren Bläser-Bagatellen bis zur ironisch-fesselnden Zufallserkundung des Poème Symphonique, von der frühen, kühnen Inspiration durch Volksmusik über die bahnbrechenden Klangflächenwerke der 1960er-Jahre bis zu den späten Instrumentalkonzerten und zur Kammermusik, nicht zu vergessen die quecksilbrig-witzigen Auskopplungen aus der „Anti-Anti-Oper“ Le Grand Macabre: Immer ist György Ligeti ein anderer und bleibt doch stets derselbe.

Walter Weidringer

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