Ägypten und Äthiopien befinden sich im Krieg.
Der ägyptische Hauptmann Radamès träumt. Vor allem von seiner heimlichen Geliebten, der äthiopischen Sklavin Aida, die am ägyptischen Königshof lebt und die er für sich gewinnen will. Auch Prinzessin Amneris ist in Radamès verliebt, verdächtigt ihn allerdings bereits, sich mehr für Aida als für sie zu interessieren. Aida ist, was noch niemand weiß, die Tochter des äthiopischen Königs Amonasro und bangt in diesen Zeiten des Kriegs um das Leben all derer, die sie liebt. In dieser emotionalen Schieflage der drei Protagonisten beginnt die Oper. Radamès wird schnell zum Armeegeneral ernannt und zieht in den Krieg gegen Äthiopien. Er gewinnt den Feldzug, nimmt Amonasro gefangen und kehrt im Triumph zurück. Aida ist am Boden zerstört und muss das Leid ihrer Nächsten mitansehen. Zu allem Unglück macht der König von Ägypten Radamès ein sehr unwillkommenes Geschenk: Er bestimmt ihn zu seinem Nachfolger und gibt ihm seine Tochter Amneris zur Braut. Ein Alptraum für Aida. Ein Alptraum für Radamès. Danach beginnt ein verzweifelter Lauf um Rettung, der für alle Beteiligten nur in der Katastrophe enden kann. Was der Komponist dem Liebespaar in aller Vagheit versprechen kann, ist möglicherweise der tröstliche Gedanke eines gemeinsamen utopischen Ortes jenseits dieser Welt.
Im 19. Jahrhundert übte der Orient eine besondere Faszination auf die Europäer aus, die durch ihre kolonialen Begierden auch in der arabischen Welt mehr und mehr an Einfluss gewannen. Zugleich weckten die Entdeckungen der Ägyptologen die Neugier und den Appetit der Europäer auf Exotik. Ab 1863 wurde Ägypten als Teil des Osmanischen Reiches von dem Khediven Ismail Pascha regiert, der während seiner Herrschaft versuchte, Kairo zum „Paris des Ostens“ zu machen. Zu seinen größten Errungenschaften gehörte dabei der Bau eines Opernhauses, mit dessen Einweihung im Jahr 1869 zugleich die Eröffnung des Suezkanals gefeiert wurde. Als erste Oper kam Rigoletto zur Aufführung, doch Ismail Pascha hatte es sich in den Kopf gesetzt, Giuseppe Verdi — den er für den größten Opernkomponisten der Welt hielt — für ein neues Werk zu gewinnen: eine einzigartige und spektakuläre Oper, die auf ägyptischen Quellen basieren sollte. Als Verdi 1870 die Arbeit an Aida begann, war er 56 Jahre alt und hatte 24 Opern komponiert. Etwas müde geworden, sehnte er sich nach dem Ruhestand, doch wurde — wie man in seinen Briefen nachlesen kann — sein Schaffensdrang neu entflammt, als er die Geschichte der Aida in die Hände bekam. Schon im Dezember 1871 fand in Kairo die Uraufführung statt.
Aida revisited
Mit Aida gab Shirin Neshat bei den Salzburger Festspielen 2017 ihr Debüt als Opernregisseurin. Fünf Jahre später hat sie nun die Gelegenheit, das Werk noch einmal zu untersuchen und es mit Themen und Motiven ihrer eigenen Arbeit in einen Dialog zu bringen. Dabei wird der Nahaufnahme der drei Hauptfiguren eine gewichtige Rolle zukommen. Aida, Radamès und Amneris sind hin- und hergerissen zwischen ihren Fantasien — den Träumen eines alternativen Lebens — und der Realität einer Gesellschaft, die ihre für sie bereitgestellten Rollenbilder mit aller Gewalt durchsetzen will. Ein Leben auf Ansage. Dass alle drei Figuren diesen Ansagen nicht so recht folgen wollen, bildet den eigentlichen Motor des Geschehens. Das Oszillieren zwischen einem lockenden Traumerleben und den Forderungen der immer wieder auf sie eindringenden, kreischend repräsentativen Wirklichkeit kann die Beteiligten nur zerreißen. Hier zerrt etwas an ihnen, das sie am Ende zerstört, zermalmt, vernichtet. Das beherrschende Thema ist der permanente Kriegszustand, der bis in das Innerste der Existenz hineinreicht — als Krieg zwischen Ägyptern und Äthiopiern, zwischen den Mächtigen und den Ohnmächtigen, zwischen Männern und Frauen und nicht zuletzt zwischen den Wünschen und Pflichten des Einzelnen. Zurück bleiben nur Verzweiflung und Trauer.
Yvonne Gebauer
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