Andy Warhol, Piano Keys, 1950s, ink and Dr. Martin’s Aniline dye on Strathmore paper (42.9 x 28.9 cm; 1998.1.1110) The Andy Warhol Museum, Pittsburgh; Founding Collection, Contribution The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. © The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / Bildrecht Wien, 2025
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Hommage à GYÖRGY KURTÁG

„Meine Muttersprache ist Bartók, und Bartóks Mutter­sprache war Beethoven“: So benannte György Kurtág seine musikalischen Wurzeln. Man darf wohl Anton Webern als weitere Leitfigur dazurechnen, als Vorbild für die konzentrierte Verknappung, die Kurtág in seinen Werken erreicht. Kaum ein Komponist kann sich derart offen und zugleich verständlich auf solche Größen beziehen und muss dennoch nicht fürchten, neben ihnen zu verblassen: Der ungemein selbstkritische György Kurtág horcht in Seelenregungen hinein, übersetzt sie mit der Präzision eines Miniaturenmalers in Gebärden und Klänge, verleiht ihnen Kontur und Farbe. Das macht ihn zu einem ebenso hoch verehrten wie auch anspruchsvollen Lehrer: Denn jede noch so kleine Note muss mit Herzblut erfüllt werden. Bei aller intellektuellen Schärfe, bei Kurtágs Mitgefühl und seinem Humor, seiner Wehmut und seinem Schmerz vibriert selbst in nur hingetupften Tönen stets auch eine urwüchsige Musizierlust, eine Mitteilungsfreude, die uns Musik tatsächlich als Sprache empfinden lässt.

Vor 100 Jahren, 1926 in Lugoj (ungarisch Lugos) geboren, also offiziell in Rumänien, de facto aber in der Vielvölkerregion des Banats mit seinen ungarischen, deutschen und russischen Minderheiten, hatte Kurtág als Gymnasiast in Timişoara (ungarisch Temesvár) die Musik entdeckt: Als ob jemand käme betitelte er ein frühes Klavierstück. Der Maturant schlug sich 1945 nach Budapest durch, in der Hoffnung, Béla Bartók werde in die Heimat zurückkehren und unterrichten – vergeblich, denn Bartók verstarb noch im selben Jahr in New York. 1956 dann, im Zuge des ungarischen Volksaufstandes gegen die kommunistische Diktatur, erlitt er einen weiteren Rückschlag: Im Gegensatz zu seinem Freund György Ligeti, der Ungarn verließ, blieb Kurtág die Ausreise nach Österreich verwehrt. Nach schwerer psychischer Krise während eines Paris-Aufenthalts begann er Ende der 1950er-Jahre von Grund auf neu zu komponieren, kehrte nach Budapest zurück – und entwickelte sich hinter dem Eisernen Vorhang zu einem der bedeutendsten Komponisten unserer Zeit. Erst spät, in den 1980er-Jahren, wurde der Westen auf ihn aufmerksam. Heute begeistern die Mikrokosmen dieses Meisters der erfühlt-erfüllten Geste, des vollendeten Fragments und der hellsichtig-melancho­lischen Erinnerung Menschen in aller Welt.

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