Martha Jungwirth, Ohne Titel, 1998
Aquarell auf handgeschöpftem Papier, 35 x 24,5 cm
Foto: © Dorotheum Wien
© Martha Jungwirth/Bildrecht, Wien 2023
Zur Produktion

„Die Welt wird durch Schönheit gerettet werden.“

Welches Geheimnis trägt dieser Mensch in sich? Welches verborgene Wissen um die Welt gibt ihm Zutritt zur Wahrheit derer, denen er begegnet? Was jeder von uns an Heimlichkeit hütet, was keiner von uns nach außen dringen lassen will – dieser Mensch, dieser Fürst, der „Idiot“, findet es heraus. Seine Aura ist ebenso anziehend wie beängstigend. Man sucht seinen Blick und fürchtet seine Anwesenheit. Man erholt sich nie davon, ihm begegnet zu sein. Der „Idiot“ besitzt eine destabilisierende Kraft, die die Gesellschaft in ihrer Brutalität und Vulgarität, in ihrer Kompromissbereitschaft und mit ihren dunklen Trieben nicht dulden kann. Der „Idiot“ stellt die Umkehrung der allgemeinen Werte dar. Ein Wert hingegen beherrscht ihn vor allen anderen: Mitleid. Und wer uns gegenüber Mitleid zeigt, vor dem schwindet jeder Widerstand. Mitleid bringt die nackte Seele zum Vorschein. Es entwaffnet.

Wir leben in einer Welt, in der Wladimir Putin seit dem 24. Februar 2022 versucht, das Volk und die Kultur der Ukraine zu vernichten; in einer Welt, in der seit dem 7. Oktober 2023 die grauenhafte Gewalt der Islamisten und die darauffolgende Vergeltung des Staates Israel Leid verursachen, wie wir es seit Jahrzehnten nicht mehr kennen. Hass greift um sich, Menschlichkeit wird mit Füßen getreten. Die Stimme des Mitleids wird vom Kriegslärm erstickt. Wenn nun eine Person (ob real oder, wie hier, fiktiv) angesichts der menschlichen Abgründe durch ihre Worte oder Haltung, durch ihre Wahrhaftigkeit, die jegliche Lüge und Berechnung ausschließt, Herzensgüte und Mitleid gebietet, fürchten wir uns vor der Unerhörtheit einer grenzenlosen Liebe. Fürst Myschkin ist der Name dieser skandalösen lichtdurchfluteten Zärtlichkeit. Einer Zärtlichkeit, die über jedes moralische Urteil erhaben ist. Bedingungslose Liebe gleicht einem Taumel, auf den wir niemals vorbereitet sind.

Aus Dostojewskis Roman Der Idiot (1869) hat der polnisch-sowjetische Komponist Mieczysław Weinberg Mitte der 1980er-Jahre seine siebte und letzte Oper geschaffen – neben Die Passagierin sein zweites Hauptwerk für die Bühne. Weinbergs Idiot wurde lange verkannt, doch seine Bedeutung innerhalb der Operngeschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist mittlerweile unbestritten. Dem Dirigenten Thomas Sanderling, einem engen Freund des Komponisten, verdanken wir die erste vollständige Aufführung der Oper im Jahr 2013 – 17 Jahre nach Weinbergs Tod – in Mannheim. Wie auch der Geiger Gidon Kremer hat sich Sanderling in den letzten Jahren unablässig bemüht, dem Publikum Werke von Weinberg zu Gehör zu bringen, deren Schönheit man erst heute gänzlich erfasst.

Eine beachtliche Rolle in Weinbergs Leben spielte Dmitri Schostakowitsch: Er unterstützte den jungen jüdischen Komponisten aus Polen, der vor der deutschen Armee aus Warschau nach Minsk und danach Taschkent geflüchtet war und 1943 schließlich nach Moskau gelangte. Bis zu seinem Tod setzte er sich gegenüber den sowjetischen Machthabern, die versuchten, die Bedeutung der Musik Weinbergs herunterzuspielen, für dessen Werke ein. Weinberg widmete seine Oper Der Idiot bezeichnenderweise Schostakowitschs Andenken.

Die Salzburger Neuproduktion wird von Mirga Gražinytė-Tyla dirigiert, die sich ebenfalls seit Jahren für diesen außerordentlichen Komponisten begeistert. Nach Henzes The Bassarids, Strauss’ Elektra und Verdis Macbeth präsentiert der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski mit seiner Interpretation von Der Idiot seine vierte Festspielinszenierung.

Wie für jeden polnischen Künstler und Intellektuellen ist Dostojewskis Œuvre auch für ihn ambivalent. Warlikowski ermisst dessen außergewöhnliche Tiefe, ohne die Haltung des Schriftstellers in jenen Jahren zu vergessen, als er den Roman schrieb und Polen von den Russen besetzt war: den unbedingten Glauben an die Größe des russischen Volkes und die Gewissheit, dass nur das russische Zarenreich Europa vor dem Verfall bewahren könne. Dostojewskis Vorstellung von Russland findet in unserer Zeit ein befremdliches Echo. Warlikowski wird sich dem Werk jedoch vielmehr über die persönliche Sichtweise Weinbergs annähern und den Reichtum, die Spannung und die Charaktere dieser brillant gebauten Oper ausloten: den dunklen und gewalttätigen Rogoschin, die leidenschaftliche und unglückliche Schönheit Nastassja Filippowna, die geopferte junge Liebende Aglaja und natürlich das unergründliche Geheimnis, das Fürst Myschkin ist.

Christian Longchamp
Übersetzung aus dem Französischen: Fedora Wesseler

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