Zur Produktion: La clemenza di Tito
„Es ist unmöglich, hier nicht an Ereignisse der jüngsten Geschichte zu denken“
Bereits 1994 erweckte Cecilia Bartoli für eine CD-Aufnahme von Mozarts La clemenza di Tito die Figur des Sesto stimmlich zum Leben. Fast drei Jahrzehnte sollten vergehen, bis sie die Partie vor Publikum sang: Ihr konzertantes Rollendebüt bei den Salzburger Pfingstfestspielen 2021 würdigte ein italienischer Kritiker mit dem Prädikat „memorabile“ – denkwürdig; ein anderer schwärmte: „Die Zerrissenheit der Figur wird in jeder Phrase intensiv spürbar.“ Groß ist die Vorfreude darauf, dass Cecilia Bartoli nun den Sesto erstmals in einer szenischen Produktion verkörpern wird – Regie führt Robert Carsen.
Gleich zu Beginn von Mozarts letzter Oper erleben wir Sesto im Konflikt zwischen seiner engen Freundschaft zum römischen Kaiser Tito und seiner blinden Liebe zu Vitellia. Diese fühlt sich in ihren Hoffnungen auf Titos Hand und den Thron betrogen und drängt Sesto dazu, ein Attentat auf den Kaiser zu organisieren. Im Finale des ersten Aktes steht das gestürmte Kapitol in Flammen: „Es ist unmöglich, hier nicht an Ereignisse der jüngsten Geschichte zu denken“, bemerkt Robert Carsen, „was nicht heißt, dass wir die Handlung ins Washington des Jahres 2021 verlegen.“ Tito überlebt den Anschlag, und im zweiten Akt verfolgen wir gespannt, wie er den Menschen, die ihn verraten haben, begegnet: „Wie geht dieser Herrscher, der sich der Maxime der Güte verschrieben hat, mit seinen eigenen Rachegefühlen und gleichzeitig mit seiner Überzeugung von der Wichtigkeit des Verzeihens um?“
Die Musik von La clemenza di Tito hat für Carsen eine außerordentliche Kraft: „Diese Musik fängt nicht bloß eine emotionale Atmosphäre ein; sie weist eine Strenge auf, die den merkwürdigen Eindruck entstehen lässt, dass die Ereignisse über die Ebene des Individuellen – über die einzelnen Figuren, die diese Ereignisse herbeiführen – hinausgehen. Das macht das Werk noch größer, erschwert aber auch deutlich die Aufgabe, es zu inszenieren und einem Publikum nahezubringen: eine Herausforderung, auf die ich mich freue!“
zuerst erschienen in der Festspielbeilage der Salzburger Nachrichten 2024