Krystian Lupa

Der 1943 geborene polnische Regisseur Krystian Lupa studierte zunächst Physik an der Jagiellonen-Universität in Krakau, dann, von 1963 bis 1969, Grafik an der Akademie der Bildenden Künste Krakau und anschließend Filmregie in Łódź sowie Theaterregie an der Theaterhochschule Ludwik Solski Krakau. Der von Tadeusz Kantor und C.G. Jung beeinflusste Dramatiker, Bühnenbildner, Übersetzer und herausragende Schauspielregisseur hat sich mit russischen, deutschen und österreichischen Autoren wie Robert Musil, Fjodor M. Dostojewski, Rainer Maria Rilke, Michail A. Bulgakow, Anton Tschechow und Thomas Bernhard auseinandergesetzt und viele ihrer dramatischen und literarischen Texte adaptiert.
Während seines Studiums arbeitete Krystian Lupa mit Konrad Swinarski zusammen und war Assistent von Jerzy Krasowski am Juliusz Słowacki Theater in Krakau; an diesem Theater gab er 1976 sein Regiedebüt mit Sławomir Mrożeks Rzeźnia (Das Schlachthaus). Nach seinem Studium arbeitete er am Cyprian-Kamil-Norwid-Theater in Jelenia Góra (Hirschberg), wo er mit einer Gruppe junger Schauspieler·innen neue theatralische Ausdrucksformen erprobte, sowie am Stary Teatr (Altes Nationaltheater) in Krakau, das zu einer seiner zentralen Arbeitsstätten wurde. Hier inszenierte er 1985 Stadt der Träume (Miasto snu) nach Alfred Kubins Roman Die andere Seite als Reise in die Tiefen des Selbst. Die folgenden Produktionen an diesem Haus stellten eine thematische Wende dar; sie befassten sich mit ethischen Problemen und erkundeten die Geisteshaltung von Menschen in einer Zeit des kulturellen Wandels: u.a. Marzyciele (Die Schwärmer) von Robert Musil und Bracia. Dialog o miłości i zbrodni (Brüder. Dialoge über Liebe und Verbrechen) nach Fjodor Dostojewski (beide 1988), Bracia Karamazow (Die Brüder Karamasow) von Fjodor Dostojewski (1990), Szkice z Człowieka bez właściwości (Skizzen vom Mann ohne Eigenschaften) nach Robert Musil (1990 an der Staatlichen Theaterakademie in Krakau aufgeführt), Malte (1991) nach Rainer Maria Rilke und 1995 Lunatycy. Esch czyli anarchia (Die Schlafwandler. Esch oder die Anarchie) nach Hermann Broch.
Kalkwerk (1992) nach dem Roman von Thomas Bernhard markierte den Beginn der Auseinandersetzung mit Werken des österreichischen Schriftstellers – es folgten u.a. Immanuel Kant (1996) am Polnischen Theater in Breslau, Rodzeństwo (Die Geschwister. Ritter, Dene, Voss) am Stary Teatr in Krakau (1996) und Heldenplatz (2015, Litauisches Nationaltheater). 1988 inszenierte Krystian Lupa den zweiten Teil seiner Theateradaption von Hermann Brochs Die Schlafwandler am Stary Teatr in Krakau. Am Polnischen Theater in Breslau inszenierte er 1997 Dama z jednorożcem (Die Dame mit dem Einhorn) nach der Erzählung Hanna Wendling von Hermann Broch und Kuszenie cichej Weroniki (Die Versuchung der stillen Veronika) nach einer Erzählung von Robert Musil sowie 1999 Prezydentki (Die Präsidentinnen) von Werner Schwab. 2001 adaptierte er am Dramatischen Theater Warschau einen weiteren Bernhard-Roman für die Bühne: Auslöschung/Wymazywanie, in seiner eigenen Übersetzung. 2004 inszenierte er in Warschau Niedokończony utwór na aktora (Unvollendetes Werk für einen Schauspieler), 2006 Na szczytach panuje cisza (Über allen Gipfeln ist Ruh) nach Thomas Bernhard. 2009 begann Krystian Lupa mit der Arbeit an dem Triptychon Persona.Triptych. Der erste Teil war Marilyn Monroe gewidmet, der zweite Teil Simone Weil (2010), der dritte Teil stellt George Gurdjieff in den Mittelpunkt. Er adaptierte Michail Bulgakows Der Meister und Margarita für die Bühne (Krakau, 2002) und inszenierte 2003 in Breslau Azyl (Asyl) nach Maxim Gorkis Am Boden. 1999 inszenierte Krystian Lupa Klaras Verhältnisse der deutschen Dramatikerin Dea Loher (Warschau, 2003), am Stary Teatr in Krakau entstanden 2004 Zaratustra nach Friedrich Nietzsche (uraufgeführt beim Athens Festival) sowie Nietzsche. Trylogia nach Einar Schleef. 2011 fand die Premiere von POCZEKALNIA.0 in Breslau statt, 2012 seine Neuinszenierung von Miasto snu (Stadt der Träume) nach Alfred Kubin in Warschau.
Krystian Lupas Inszenierungen waren und sind auf internationalen Bühnen und bei bedeutenden Festivals zu erleben: u.a. 2001 am Thalia Theater in Hamburg Die Schwärmer (Robert Musil), 2005 Solaris nach Stanislaw Lem am Düsseldorfer Schauspielhaus, im selben Jahr gastierte seine Inszenierung von Anton Tschechows Drei Schwestern am American Repertory Theater (Harvard University), 2006 Mozarts Die Zauberflöte am Theater an der Wien, bei den Wiener Festwochen 2017 Factory 2, ein Theatermarathon mit Bezug auf Andy Warhol und sein New Yorker Studio, sowie 2019 Proces nach Franz Kafka. 2020 inszenierte er am Jaunimo Teatras in Vilnius Austerlitz von W.G. Sebald, im Januar 2024 zwei der vier Erzählungen aus W.G. Sebalds Die Ausgewanderten (Les Émigrants) am Pariser Odéon. Krystian Lupa schreibt außerdem Drehbücher und inszeniert für Film und Fernsehen; er ist Autor sowie Schriftsteller und lehrt seit 1994 als ordentlicher Professor an der Akademie der Theaterkünste Stanisław Wyspiański in Krakau.
Seine Maßstab setzende Arbeit am Theater und mit Schauspieler·innen wurde mit zahlreichen renommierten polnischen und europäischen Theaterpreisen gewürdigt, darunter der Leon-Schiller-Preis (1992), der Europäische Theaterpreis (2009) und der Nestroy-Theaterpreis (2014, für seine Inszenierung von Thomas Bernards Holzfällen am Schauspielhaus Graz); 2000 wurde er mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse ausgezeichnet. Das französische Kulturministerium verlieh Krystian Lupa den Ordre des Arts et des Lettres im Rang des Chevalier (2002) und des Commandeur (2017).
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