4 Jan 2019

Peter Sellars inszeniert Idomeneo

Eröffnungsoper 2019

Idomeneo Eröffnungsoper der Salzburger Festspiele 2019

Die Eröffnungspremiere der Salzburger Festspiele am 27. Juli 2019 ist Wolfgang A. Mozarts Oper Idomeneo. 2017 setzten Teodor Currentzis und Peter Sellars bei den Salzburger Festspielen Mozarts späte Oper La clemenza di Tito als ergreifende Vision über die Kraft der Gerechtigkeit und der Versöhnung in Szene. Nun widmet sich das kongeniale Duo im kommenden Festspielsommer erneut einer Opera seria Mozarts, dem Werk eines 25-Jährigen.

Herr Sellars – Sie kommen zurück nach Salzburg, zurück in die Felsenreitschule. Intendant Markus Hinterhäuser vertraut Ihnen eine weitere Opera seria Mozarts an. Was sehen Sie in Idomeneo?

Mozart hat diese Musik geschrieben als er 25 Jahre alt war. Der Opernauftrag brachte ihn mit einem renommierten Bühnenbildner, Lorenz Quaglio, zusammen. Er hatte ein Ballett-Ensemble, Sänger und das Avantgarde-Orchester Europas zur Verfügung: die Musiker aus Mannheim. Er muss sich gedacht haben – Lasst uns nach München gehen und zeigen, was die junge Generation leisten kann. In dieser Oper steckt auch ein klassischer Vater-Sohn-Disput – im Grunde sagt Mozart mit dieser Oper zu seinem Vater, dass es Zeit sei, die junge Generation ans Ruder zu lassen. Mozart schreibt hier Musik, die kein anderer hätte schreiben können – und gleichzeitig ist es die Musiksprache einer neuen Generation.
Das Libretto folgt den griechischen Mythen nach Homer und Sophokles: Die Griechen waren sich sicher, den Trojanischen Krieg gewonnen zu haben und stolz darauf. Als sie nach Hause segelten, empörte sich das Meer: Nein, ihr habt nicht gesiegt. Alle haben verloren. Das Meer zerstörte ihre Schiffe. Diese Geschichte über das Meer und seine Antwort auf den Stolz der Menschen ist ungeheuerlich. An einer Stelle heißt es: Dem Meer entronnen, habe ich ein Meer in der Brust, noch mörderischer als das erste. Und Neptun wird auch in diesem nie sein Drohen beenden.– und genau davon handelt Mozarts Musik.

Sie suchen den gültigen Bezug zum Weltgeschehen in Ihren Inszenierungen. Wie heutig ist Idomeneo?

Im Grunde geht es uns mit dem Klimawandel genau wie Mozart mit dieser Oper: Eine ältere Generation, die es einfach nicht kapiert, und eine jüngere, die sich der Sache schon auf spannende Weise angenommen hat. Und wir erleben gerade, wie die Führung in neue Hände kommt. Mit dieser Oper kommt 2019 in Salzburg ein zorniger 25-Jähriger von 1781 zu Wort. Sicher wissen Sie, dass sich die Vereinigten Staaten unter Donald Trump aus allen Gesprächen über den Klimawandel zurückgezogen haben. Und die schlimmsten Luftverschmutzer sind China und die USA. Ich wohne in Kalifornien und dessen Gouverneur Jerry Brown hat im September 2018 eine Klimakonferenz mit der Beteiligung von China und 43 weiteren Staaten gegeben. Diesen Sommer wird eine chinesische Sängerin namens Ying Fang in Salzburg die Ilia singen – ich habe sie auf dieser Klimakonferenz Mozarts Arien singen lassen, umgeben von Fotos und Bildern von Künstlern aus aller Welt, die stürmische Meere zeigen, schmelzende Gletscher, Überflutungen, all die unfassbaren Auswirkungen, die sich zeigen. Es ist nicht so, dass der Klimawandel irgendwann kommt: Er ist schon da, hier und jetzt. Wir zeigten Mozarts Idomeneo als Oper, die das wütende Meer zeigt, die zeigt, was es für unsere Nachkommen heißen wird, mit dem Meer zu verhandeln. Salzburg zählt zu den Städten, in die die Leute kommen, um sich mit den großen Fragen zu beschäftigen. Wenn Neptun am Ende der Oper genug gesehen hat, wird die ganze Bühne geflutet. George Tsypin (Bühnenbild) hat beeindruckende Fotos von all dem Plastikmüll gemacht, der heute das Meer zerstört und uns allen inzwischen im Blut kreist. Dieses Bild aus unserem Innersten wird hier auf den Stein der Felsenreitschule projiziert, der Stein wird so zur Unterwasser-Ruine. Wir stellen Atlantis auf die Bühne, die mythische, versunkene Stadt. Die Bögen der Arkaden werden zu unterirdischen Ruinen einer versunkenen Zivilisation. Magisch, fremd und schön.

Sie inszenieren wieder in der Felsenreitschule – Was macht diesen Aufführungsort so besonders?

Die Felsenreitschule ist weltweit das einzige Opernhaus, das dieses Bühnenbild ermöglichen kann, das wir uns vorstellen und geplant haben. Und sie ist auch deswegen so grandios, weil sie eben kein Opernhaus ist. Die Felsenreitschule ist etwas anderes. Der Fels ist etwas Echtes, das ist einzigartig. Deshalb können wir die Oper auch so real wirken lassen. Wenn von der Stimme des Meeres, von der Stimme der Erde die Rede ist: Der Fels ist schon da. Und ich muss sagen, jedes Bühnenbild, das George Tsypin für die Felsenreitschule geschaffen hat, ist etwas ganz Wunderbares. George hört im Fels diese Stimme und lässt sie machtvoll sprechen. Den ganzen Festspielabend lang werden Dinge aufsteigen oder absinken – über die gesamte Oberfläche – alles ist immer im Fluss, während das Ganze sich entwickelt – genau wie Mozarts Musik.

Die Frauen spielen in dieser Oper eine besondere Rolle. Welchen Raum geben Sie ihnen?

Die beiden Frauen sind Electra und Ilia. Die Oper beginnt mit Ilia, dem Flüchtlingsmädchen: Am Anfang steht ein Mensch, der alles verloren hat, der keine Heimat mehr hat, der keine Zuflucht hat – und natürlich ist es genau dieser Mensch, der am Ende alle retten wird. Die andere Frau ist Electra, die gerade ihre eigene Mutter umgebracht hat, nachdem sie zusehen hat müssen, wie ihre Mutter ihren Vater ermordet und davor ihr Vater ihre Schwester. Was kann ein Mensch aushalten? Wie kann einen das ungerührt lassen?
Mozart zeigt uns zwei zutiefst verwundete Frauen: Er zeichnet zwei Bilder von Traumata. Was bedeutet es, wenn der Krieg einfach nicht aufhört? In Mozarts Musik geht es um Trost. Sie soll den Menschen helfen, über Alpträume hinwegzukommen, die sich keiner von uns vorstellen kann. Idamante ist es, der schließlich sagt: Es mag Griechenland genügen, den Feind besiegt zu sehen. Seien wir bereit, ein Werk zu erleben, das meiner würdig ist, o Prinzessin: ich möchte den Besiegten glücklich sehen – das ist Mozarts großes Ideal.

Im Leading Team ist der im pazifischen Raum renommierte Choreograf Ponifasio aufgeführt. Wie kommt es zu dieser Zusammenarbeit?

Lemi Ponifasio stammt aus Samoa. Er hat eine erstaunliche choreographische Welt erschaffen, die ihren Ursprung in den Ritualen der pazifischen Inseln hat. Seine Tänzer sind Samoaner und Maori – und Künstler aus Kiribati: Das ist der Name der ersten Insel, die aufgrund der Erderwärmung im Meer untergehen wird. Die Menschen von Kiribati wandern nach Neuseeland aus, denn das Meer überspült bereits jetzt all ihr Ackerland mit Salz. Es kann nichts mehr angebaut werden. Ich habe in Neuseeland mit Lemi Ponifasio und Künstlern aus Kiribati zusammengearbeitet und freue mich, dass er mit zwei Tänzern nach Salzburg kommt. Diese Menschen haben große Opfer gebracht. Sie wissen, wie man mit dem Meer in einen Dialog tritt, dass das Meer mit den Vorfahren zu tun hat. Und wie man dies künstlerisch im Tanz umsetzt und ausdrückt.

Mozart schreibt am Schluss von Idomeneo auch eine prachtvolle Ballettmusik. Wie passt diese in Ihr Konzept?

Die Oper schließt mit einundzwanzig Minuten Ballettmusik, die für mich zum Aufregendsten gehört, was Mozart komponiert hat. Sie ist auch deswegen so spannend, weil sie – unseres Wissens nach nicht über den Schreibtisch von Vater Mozart zu gehen brauchte. Der Librettist der Oper, Giambattista Varesco, wohnte in Salzburg, Mozart komponierte in München. Er musste immer erst einen Brief an seinen Vater hier in Salzburg schreiben, dann ging der zum Librettisten und dann schrieb er seinem Sohn zurück. Also musste alles in dieser Oper an Vater Mozart vorbei – bis auf die Ballettmusik. Und die Musik ist derartig erregend, wild, schnell, voll überschäumender Kraft – jung – weit weg von der alten Generation. Und Mozart hatte dieses Orchester, das alles spielen konnte und er trieb es in Sphären, die es nie zuvor betreten hatte. Stellen Sie sich das mal vor: Teodor Currentzis und das Freiburger Barockorchester! Sensationell. Anstelle des Ballett-Tanzes werden wir bewegte Bilder von dem großartigen Projekt zeigen, die die Plastikinsel im Pazifik wegzuräumen versucht. Ich will also, dass die Oper mit dieser brillanten Musik und diesen Bildern aufhört. Ich möchte davon erzählen, was wir jetzt und hier tun können, um das Meer, diese Urgewalt, zu reinigen. Ich lese dies alles in der aufgeklärten Vorstellung Mozarts des 18. Jahrhunderts. Und die Welt muss nicht tragisch zugrunde gehen. Wenn man wirklich mal junge Leute mit guten Ideen ran lässt, dann kann die Welt einen Schritt vorwärts machen. Ja, es gibt eine Zukunft. Ja, diese Zukunft wird wunderbar. Und jetzt ist ihre Zeit gekommen.

Sie haben es gerade schon erwähnt – erneut wird Teodor Currentzis dirigieren und auch der musicAeterna Chor aus Perm steht wieder auf der Bühne. Wie kann man sich die Zusammenarbeit vorstellen?

Ich habe die Probenarbeit mit Teodor Currentzis geliebt und freue mich auf ein erneutes gemeinsames Projekt! Er bringt wieder diesen unglaublichen Chor aus Perm mit – wir wissen noch durch Tito, was dieser Chor stimmlich und darstellerisch alles leisten kann. Idomeneo ist Mozarts größte Chor-Oper und mit diesem Chor ist so vieles möglich. Genau wie mit dem Freiburger Barockorchester, das so lebendig spielt und so darauf brennt, hier mitzumachen.

Auch in der Sänger-Besetzung erkennen wir einen Bekannten wieder.

Ja! Russell Thomas wird unser Idomeneo sein. Er hat in La clemenza di Tito als Titus überzeugt und ich bin froh, dass er wieder dabei ist in Salzburg. Paula Murrihy ist der Idamante. Die Beiden kennen einander, weil sie im Titus in Amsterdam als Sesto eingesprungen ist. Die beiden haben also schon eine fantastische Arbeitsbeziehung, auf der wir aufbauen können. Es gibt noch eine weitere Besonderheit: In einer Szene werde ich Neptun in Person des samoanischen Sängers Jonathan Lemalu auftreten lassen, der wiederum die Tänzer kennt. Und auch bei den Arien Idomeneos wird er auf der Bühne sein. Idomeneo singt also nicht ins Leere, sondern verhandelt tatsächlich mit Neptun.