5 Feb 2023

Nachruf zum Tod von Jürgen Flimm

Nachruf zum Tod von Jürgen Flimm

„Jürgen Flimm, einer der maßgeblichsten und erfolgreichsten Regisseure und Theaterleiter im deutschsprachigen Raum, hat die Salzburger Festspiele auf vielfache Weise geprägt. Als Opern- und Theaterregisseur feierte er Triumphe bei Publikum und Kritik. Als Schauspielchef setzte er Akzente mit einem neuen Jedermann und konsequenter Nachwuchsförderung. Und als Intendant gelang ihm mit einem fein gesponnenen thematischen Gesamtkonzept der Ausgleich zwischen Tradition und Moderne“, sagte Intendant Markus Hinterhäuser in einer ersten Stellungnahme.
Jürgen Flimms Erfolgsgeschichte bei den Salzburger Festspielen begann Ende der 1980er Jahre mit einem Blick von außen auf die österreichische Dramatik: Sein Regiedebüt gab der damalige Intendant des Hamburger Thalia Theaters 1987 mit Ferdinand Raimunds Der Bauer als Millionär mit u.a. Otto Schenk als Fortunatus Wurzel und Gertraud Jesserer als Zufriedenheit. Zwei Jahre später folgte seine legendäre Inszenierung von Johann Nestroys Das Mädl aus der Vorstadt mit Gertraud Jesserer als Frau von Erbsenstein, Otto Schenk als Schnoferl, Karl Merkatz als Knöpfel und Louise Martini als Madame Storch sowie 1991 Hugo von Hofmannsthals Der Schwierige mit Karlheinz Hackl in der Titelrolle und Kostümen von Karl Lagerfeld.

 

1993 bescherte Flimm mit Monteverdis L’incoronazione di Poppea der Intendanz Mortier einen großen Opernerfolg. „Dem Hamburger Thalia-Intendanten ist ein Spagat auf dem gefährlichen Salzburger Hochseil geglückt: er hat ein Zeitstück – das immer Avantgarde sein wird – auf die Bühne gestellt…“, zeigte sich Jürgen Kesting begeistert. Mit Nikolaus Harnoncourt hat er elf Jahre später einen weiteren „Opernhit“ bei den Festspielen gelandet: King Arthur von John Dryden und Henry Purcell war 2004 elf Mal so gut wie ausverkauft.
Im Oktober 2001 wurde Jürgen Flimm als Nachfolger von Frank Baumbauer Leiter des Schauspiels der Salzburger Festspiele. Drei Jahre hat er nicht nur ein anspruchsvolles Programm verantwortet, sondern den Festspielen auch große kaufmännische Erfolge ermöglicht. So beauftragte Flimm u.a. 2002 den bayerischen Regisseur Christian Stückl mit einer vielbeachteten Neuinszenierung des Jedermann, die bis 2013 auf dem Domplatz zu sehen war.
Nach zwei Jahren als Intendant der Ruhrtriennale kehrte Jürgen Flimm bereits im Oktober 2006 als neuer Künstlerischer Leiter der Festspiele nach Salzburg zurück. Im ersten Jahr seiner Intendanz rief er das Motto „Die Nachtseite der Vernunft“ aus, das sich mit den Schattenseiten unseres scheinbar aufgeklärten Lebens beschäftigte. 2008 stießen die unlösbar miteinander verbundenen Themen Eros und Thanatos aufeinander: „Denn stark wie die Liebe ist der Tod“. In beiden Jahren überstieg der Publikumszuspruch alle Hoffnungen.
Die Festspielbesucher erwiesen sich als besonders neugierig auf Raritäten wie Haydns Armida und Berlioz’ Benvenuto Cellini und auf die Neuorientierung im Konzertbereich, den Markus Hinterhäuser verantwortete und durch ganz spezielle programmatische und personelle Konstellationen bereicherte. „Das Spiel der Mächtigen“ stand als Motto über dem Programm der Salzburger Festspiele 2009. Luigi Nonos Al gran sole carico d’amore in der Felsenreitschule geriet ebenso wie die Eröffnungsproduktion von Händels Theodora zu einem Maßstab setzenden Erfolg bei Publikum und Presse. Die Saison 2010 war mit dem Zitat „Wo Gott und Mensch zusammenstoßen, entsteht Tragödie“ überschrieben und stellte den Mythos mit seinem Potenzial, elementare menschliche Erfahrungen und Situationen zu versinnbildlichen, in den Mittelpunkt: „Wie Archäologen wollen wir also diesmal eine Tür öffnen und hinabsteigen, um an die verschränkten Ursprünge, die Widersprüche unserer Geschichte und unserer Zivilisation zu erinnern. Spuren dessen, was wir auch noch heute sind, suchen, Erinnerungen aufspüren. Und zeigen, wie zeitlos, also aktuell die alten Themen sind: die der Tragödie“, resümierte Flimm.

Ein besonderes Anliegen war Jürgen Flimm die Nachwuchsförderung bei den Festspielen. Er initiierte das Young Directors Project, einen Wettbewerb für junge Schauspiel-Regisseure, der von 2002 bis 2014 stattfand und für viele Regisseure – wie z.B. Alvis Hermanis – zum Sprungbrett für große Theaterkarrieren wurde. Und auch das Young Singers Project, seit 15 Jahren eine höchst erfolgreiche Startrampe für internationale Sängerkarrieren, geht auf eine Initiative Jürgen Flimms zurück.
Gemeinsam mit dem damaligen Konzertchef Markus Hinterhäuser gelang Flimm zudem eine erfolgreiche Neupositionierung der Salzburger Pfingstfestspiele, die von 2007 bis 2011 unter der künstlerischen Patronanz von Riccardo Muti – und unter Mitwirkung seines Orchestra Giovanile Luigi Cherubini – unbekannte Meisterwerke der Neapolitanischen Schule des 18. Jahrhunderts präsentierten.
Nach vier erfolgreichen Saisonen wechselte Jürgen Flimm 2010 als Intendant der Staatsoper Unter den Linden nach Berlin.

„Die schwarze Fahne, die heute am Festspielhaus weht, ist ein Zeichen der Trauer und der Dankbarkeit für Jürgen Flimms Wirken für die Salzburger Festspiele“, erklärte das Festspieldirektorium.